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Respekt dem Leidenden
KREBS - DIE VOLKSKRANKHEIT
Zunächst war es nur ein Journal, ein Tagebuch, gedacht, dem jungen Onkologen zu helfen, der nach seinem Medizinstudium in die Niederungen des oft hoffnungslosen Alltags einer Krebsklinik getaucht wurde. Doch schnell war ihm klar, dass hier das Porträt einer Krankheit entstand, die 4500 Jahre alt ist und deren viele Facetten, Erscheinungsformen und Wesen die Menschheit und die Wissenschaft erst jetzt zu erfassen beginnt.
Für seine 2010 in den USA erschienene »Biografie« erhielt der heute 42-jährige praktizierende Arzt und Krebsforscher Siddharta Mukherjee die renommierteste journalistische Auszeichnung, den Pulitzer-Preis. Der Bestseller, der vom »Time Magazine« zu den 100 besten Sachbüchern aller Zeiten gezählt wird, liegt jetzt auch auf Deutsch vor. Und auch bei uns dürfte dieser wissenschaftlich-literarisch brillante Versuch sein Publikum finden. Denn es geht hier ja nicht nur um eine tödliche Krankheit, die mittlerweile jeden zweiten Mann und jede dritte Frau betrifft und weltweit jährlich über sieben Millionen Menschen das Leben kostet. Es geht um ein uraltes Leiden.
In Mukherjees Geschichte sind die Patienten die Protagonisten, nicht die Ärzte oder Wissenschaftler. Natürlich erzählt er von Virchow, Ehrlich, Halsted, von mutigen, kreativen und skrupellosen Virologen und Radiologen, von engagierten Forschern und Entdeckern, von politischen Lobbys und der Pharmaindustrie. Aber im Zentrum seiner Berichte stehen Menschen, die mit der Krankheit leben mussten oder an ihr gestorben sind und die nicht vergessen werden sollen. Denn wenn es Hoffnung geben kann, so seine Schlussfolgerung, dann, weil man versucht zu verstehen, was Krebs ist: eine genetische Störung im Zellwachstum, eine verzerrte Version des Menschen selbst, ein Teil unser aller Biologie, die sich nicht einfach so herausschneiden, wegstrahlen oder chemisch abtöten lässt.
Mit Skepsis angesichts großer Versprechen oder »neuester Erkenntnisse« und in einer für jede Krebsform angemessenen Kombination von Früherkennung, Chemotherapie, Chirurgie und Bestrahlung lassen sich im Lauf der Zeit vielleicht Wege finden, den Kampf gegen diese »Geißel der Menschheit« erfolgreicher zu führen. Verstehen, womit wir es zu tun haben, ist das Anliegen des Autors, der auch die kulturellen Dimensionen zeichnet. Er spricht ebenso von der Stigmatisierung und Selbstbeschuldigung der Patienten bis zur rassistischen Verweigerung der medizinischen Gleichbehandlung für Schwarze oder Arme.
Mukherjees Buch ist ein Appell an uns alle, sich der Krankheit zu stellen und zu fordern, was uns zusteht: Geld für die Forschung, aber auch Anerkennung im Leiden und Respekt gegenüber den Leidenden.
Siddharta Mukherjee: Der König aller Krankheiten: Krebs - eine Biografie. A. d. Am. v. Barbara Schade. Dumont. 670 S., geb., 26 €.
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