Wurzeln und Welt
Die blaue Jeansjacke, den Kragen meist hochgeschlagen, das weiße Bürstenhaar. In Gestus und Geist eine proletarisch-bürgerliche Liaison. Als habe in diesem Künstler einen Ausdruck gesucht, was der DDR als Lebenskultur so schwerfiel: die Verbindung von Verwurzelung und Weltläufigkeit.
1927 wird Egon Günther im erzgebirgischen Schneeberg geboren, lernt Schlosser, Konstruktionszeichner, studiert Germanistik und Philosophie. Die DEFA bezeichnete er noch als Heimat, da es sie längst nicht mehr gab. Lob einer lebendigen Arbeitsstätte - von ihm, einem Ausgereisten, einem Unbotmäßigen. Er blieb der Arbeiter, der nie vergaß, wo er herkam, aber auch nie, wie weit er gehen durfte.
Und was hat er über sich ergehen lassen müssen! Verbote (»Das Kleid«, nach Grimms »Des Kaisers neue Kleider«, »Wenn du groß bist, lieber Adam«), Demütigung (bei der Premiere von »Abschied« nach Johannes R. Becher verlassen Ulbricht und Co. das Kino; er und Autor Günter Kunert dürfen sich am Schluss nicht verbeugen). Als der Prager Frühling zerwalzt wird, verhaftet die DDR seinen Sohn (17) - die Freunde hatten einander bezügliche Brecht-Gedichte vorgelesen.
Im Grunde ein Regisseur (»Junge Frau von 1914«, »Erziehung vor Verdun«, »Ursula«, »Lenz«, »Stein«, »Die Braut«) ohne Alterswerk. Nietzsche wäre der Stoff dafür gewesen. Nietzsche band ihn an seine Lehrer Bloch, Mayer. Das deutsche Thema: ein quälerisch suchender Geist inmitten jener immerwährenden Realität, die das Große zwar will, aber sich immer wieder alles vergibt. Einsam, besessen hat Günther daran gearbeitet. Zu anspruchstreu. Deutschland zeigte ihm, dass es viel zu bieten hat, vor allem: kalte Schultern.
Ein großartiger Erzähler ist Günther. Er schrieb einen Essay über Klaus Löwitsch (sein Protagonist in »Exil«) - eine bestechende Philosophie des Spiels ganz im Ernst. Überhaupt seine Komödianten: Jutta Hoffmann, Wolf Kaiser, Klaus Piontek, Rolf Ludwig, Barbara Dittus, Veronica Ferres, Jörg Schüttauf. Liebe.
Heute hat Egon Günther Geburtstag. Ein Bild-Avantgardist. Seine Ästhetik hat Ingmar Bergman und Luis Bunuel ins hiesige Gemüt gepflanzt. In erwähntem Löwitsch-Aufsatz steht: »Er weiß, dass er, seit er den Verstand verlor und Schauspieler wurde, mit den Schmerzen zu leben hatte. Erfolg ist eine Chimäre. Erst recht, wenn man ihn hat.« Glückwunsch einem Herausragenden des deutschen Films!
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