Kuba, Kirche, Konzilianz

Auf seiner jüngsten Reise punktete Papst Benedikt bei Mexikanern und Marxisten

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit inzwischen pontifikaler Routine absolvierte Papst Benedikt XVI. seine vorösterliche Reise nach Mexiko und Kuba. Zum Abschluss gab es sogar eine Begegnung mit Fidel Castro.

Er habe »niemals einen grundlegenden Widerspruch bemerkt zwischen den Vorstellungen, die ich vertrete, und den Vorstellungen dieser außerordentlichen Gestalt, die mir so vertraut war«. Das sagte Fidel Castro in einem Interview, das 1985 der brasilianische Dominikanerpater Frei Betto mit ihm führte. Mit »dieser außerordentlichen Gestalt« war Jesus von Nazareth gemeint.

Frei Betto war und ist einer der wichtigsten Vertreter der Befreiungstheologie, jener Bewegung also, an deren Zerschlagung der Mann, mit dem Kubas ehemaliger Präsident Fidel Castro am Mittwoch (Ortszeit) in Havanna zusammentraf, entscheidenden Anteil hat: Benedikt XVI., der als Kardinal Joseph Ratzinger bis zu seiner Papstwahl 2005 die vatikanische Glaubenskongregation leitete und über Einheit und Reinheit der Una Sancta wachte.

Es war offenbar eine entspannt-diplomatische Unterhaltung, die der Pontifex maximus (84) mit dem Máximo Líder (85) eine halbe Stunde lang führte. Laut Vatikansprecher Federico Lombardi ging es um Fragen des Glaubens und den Zustand der Welt. In einem zuvor veröffentlichten Kommentar hatte Castro auf seine Überzeugung verwiesen, Marxisten und Christen sollten gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen. In dem Interview mit Pater Betto hatte er das mit dem lakonischen Satz ausgedrückt: »Ich denke, Marx hätte die Bergpredigt unterschreiben können.«

Dass sein Gesprächspartner aus Rom indes von derlei Verwischung ideologischer Grenzen überhaupt nichts hält, hatte dieser bereits auf dem Flug nach Mexiko in der vergangenen Woche deutlich gemacht. Der Marxismus gebe »keine Antworten mehr auf die Wirklichkeit«, so sein Urteil.

Antworten blieb allerdings auch das katholische Kirchenoberhaupt während seiner sechstägigen Reise nach Mexiko und Kuba schuldig. Sicher, niemand hatte wohl erwartet, dass Benedikt XVI. für die junge Generation Mexikos nicht nur eine Zukunft ohne Gewalt, Hunger und Leiden anmahnte, sondern auch gleich die Lösungen dafür präsentiert.

Gemäß seinem Amt sieht der Papst, wie er gegenüber Fidel Castro äußerte, den Grund für die Schwierigkeiten der Menschheit vor allem in der sich ausbreitenden Gottlosigkeit.

Konkreter wurde er leider auch nicht in einer Frage des nach wie vor nicht ausgestandenen Missbrauchsskandals. Dieser stand zwar diesmal nicht direkt auf der Tagesordnung des Pastoralbesuchs, nahm aber Gestalt an in Form einer neuen Veröffentlichung, in der mexikanische Gelehrte schwere Vorwürfe gegen Benedikt XVI. erheben: Als Leiter der Glaubenskongregation habe er von den kriminellen Machenschaften des mexikanischen Gründers der Legion Christi, Marcial Maciel (1920-2008), gewusst und sie verschwiegen. Maciel wurde beschuldigt, als Geistlicher zahlreiche Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Das jetzt veröffentlichte Buch soll Dokumente aus den vatikanischen Archiven enthalten, die belegen, dass Johannes Paul II. und sein Nachfolger über den Priester Bescheid wussten, aber nichts gegen ihn unternahmen.

Allerdings blieben die Vorwürfe eher eine Beeinträchtigung am Rande. Benedikt XVI. konnte sich in Mexiko voll auf sein geistliches Anliegen konzentrieren und sich bei Messen von Hunderttausenden feiern lassen - programmiert in einem Land, deren Bevölkerung zu fast 90 Prozent römisch-katholisch ist.

Die (laut Angaben des Vatikans) 60 Prozent Katholiken in Kuba garantierten ebenfalls den Besuch der Papstauftritte durch Hunderttausende. Hinzu kam eine hohe Erwartungshaltung, die auf den Erfahrungen von Verbesserungen des Verhältnisses Staat-Kirche nach dem Kubabesuch von Johannes Paul II. 1998 herrührte.

Auch die antisozialistische Opposition auf der Karibikinsel hatte sich durch den Papstbesuch eine größere Publizität erhofft und dies bereits vor Benedikts Ankunft in Aktionen - wie einer Kirchenbesetzung - deutlich gemacht. Doch nicht nur die mit Festnahmen einhergehende strikte Überwachung und Abschirmung Systemoppositioneller durch die Staatsorgane ließ diese Hoffnung scheitern. Auch der Gast aus Rom zeigte weder Interesse daran, sich mit Oppositionellen zu treffen, noch daran, deren Forderungen übermäßig zu thematisieren und dadurch seine Visite zu belasten.

Zwar postulierte Benedikt vor seiner Abreise gegenüber Präsident Raúl Castro, »dass niemand durch eine Einschränkung seiner grundlegenden Freiheitsrechte daran gehindert wird«, an der Erneuerung und Versöhnung der kubanischen Gesellschaft teilzuhaben. In diplomatischer Ausgewogenheit bezeichnete er indes zugleich die »von außen auferlegten wirtschaftlichen Beschränkungen« Kubas als »unfaire Belastung« für die Menschen. Diese Kritik am Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargo, das die USA vor über 50 Jahren gegen Kuba verhängten, dürfte für die Regierung in Havanna wohl das wichtigste Signal der Ratzinger-Reise gewesen sein. Eine wohlwollende Prüfung des Papst-Wunsches, den Karfreitag als staatlichen Feiertag anzuerkennen, ist damit auf gutem Weg. Johannes Paul II. hatte Gleiches bei Weihnachten erreicht. Benedikt hofft »auch bald« auf eine Öffnung von Kubas Schul- und Universitätswesen für die Kirche.

Nicht erst am Ende seiner Reise sah man dem Papst die Anstrengungen an. Er wird am 16. April 85 und hat noch eine Menge vor. Vielleicht will er seinen Zielen nun mit mehr Konzilianz und Pragmatismus näher kommen.

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