Islands Expremier Haarde verurteilt
Gericht erkannte auf Teilschuld für Finanz- und Wirtschaftskrach 2008
Im Herbst 2008 war Island in wenigen Wochen von einem der reichsten Länder der Welt zu einem sehr armen geworden. Die drei damals zwangsverstaatlichten Großbanken Kaupthing, Landsbanki und Glitnir hatten durch hochriskante Kreditgeschäfte einen enormen Schuldenberg angehäuft. Dem damaligen Regierungschef Geir Haarde wurde vorgeworfen, nicht angemessen auf die Krise reagiert zu haben. Nicht nur habe er zahlreiche Warnzeichen ignoriert, sondern es überdies versäumt, die rechtzeitig unterbreiteten Vorschläge eines Ausschusses zur Stärkung der Wirtschaft umzusetzen.
Haarde selbst bezeichnete den Prozess als »Farce« und als »politische Verfolgung« durch die derzeit regierende rot-grüne Koalition. Er wies jegliche Schuld am letztlich nur durch IWF-Kredite und Finanzhilfen anderer Staaten verhinderten kompletten Zusammenbruch der isländischen Wirtschaft zurück und kündigte an, in Berufung zu gehen. »Keiner von uns konnte voraussehen, dass etwas so Krasses mit dem Bankensystem passieren würde«, sagte er bereits zum Prozessauftakt Anfang März. Dass drei Banken zeitweilig den elffachen Wert des ganzen Bruttoinlandsprodukts Islands angehäuft hatten, sei grundsätzlich nichts Schlechtes, was das Beispiel der Schweiz beweise.
Tatsächlich empfinden viele Isländer den Prozess gegen den Expremier heute als unfair, weil nur er sich verantworten musste. Ein Untersuchungsbericht hatte festgestellt, dass neben Haarde drei weitere Personen eine erhebliche Verantwortung für die Katastrophe trugen. Hinzu kommt, dass es vielen Isländern wieder besser geht. Die Wirtschaft hat sich überraschend schnell erholt. Die deutliche Abwertung der Krone hat zu höheren Einnahmen durch den Tourismus geführt, auch Fisch- und Aluminiumindustrie konnten einen Teil der Krise auffangen. Zum anderen verweigerte Island die vollständige Rückzahlung aller Auslandsschulden der bankrotten Banken. Auch für die Rückzahlung von Geldern an Großbritannien und die Niederlande hat Reykjavik dank Präsidentenveto und folgendem Referendum letztlich eine viel bessere Lösung aushandeln können als erwartet. Die Gläubiger beider Länder sollen zwischen 2016 und 2046 insgesamt 3,9 Milliarden Euro aus Island erhalten.
Da fällt das Vergeben leicht. Die Anfang 2009 durch Straßenproteste gestürzte konservative Unabhängigkeitspartei Haardes gewinnt sogar wieder an Zustimmung. Dies auch dank einem Paradoxon: Viele Isländer lasten der rot-grünen Regierung schmerzhafte Einsparungen an. Die für die Krise verantwortliche Haarde-Partei wird dagegen mit den goldenen Zeiten vor 2008 verbunden.
Die Abwanderung zahlreicher junger Isländer, die in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen, bleibt aber trotz besserer Wirtschaftszahlen ein großes Problem. Derzeit verhandelt das Land über die EU-Mitgliedschaft. Die hätte bei einer Volksabstimmung jedoch kaum Chancen auf Erfolg. Ursprünglich wurde die EU-Bewerbung eingereicht, weil Island seine Krone gerne durch ein stabileres Zahlungsmittel ersetzen würde. In Anbetracht der Eurokrise, aber auch traditioneller Ängste vor einer Bevormundung durch Brüssel sondiert Reykjavik derzeit die Einführung des kanadischen Dollars als Alternative.
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