Der Soli Ost als Sündenbock
Viele schräge Töne hört man beim Wahlkampfhit Kommunalfinanzen
In Nordrhein-Westfalen gibt es 396 Städte und Gemeinden. Aber lediglich acht von ihnen wiesen zuletzt einen ausgeglichenen Haushalt auf. Das strukturelle kommunale Defizit beläuft sich unter dem Strich auf 2,5 Milliarden Euro - das ist die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben Jahr für Jahr. Man darf also wohl von einer prekären Lage sprechen.
Die Ursachen sind vielfältig: steigende Sozialausgaben, immer neue Aufgaben von Bund und Land (meist ohne finanziellen Ausgleich), Steuergeschenke an Reiche und Konzerne, ein sinkender kommunaler Anteil an den Steuereinnahmen des Landes. Die NRW-Kommunen seien generell schlechter gestellt als jene in anderen Bundesländern, die »Überlastung der Kommunen mit Soziallasten« beträfe sie besonders hart, seit vielen Jahren erfülle das Land nicht mehr die Aufgabe, eine aufgabengerechte Finanzausstattung seiner Kommunen zu gewährleisten, kritisiert der Städtetag Nordrhein-Westfalen.
In einigen Medienberichten der letzten Wochen wurde allerdings kolportiert, dass daran vor allem der Solidarpakt II schuld sei. Der »Aufbau Ost« führe zum »Abbau West«, monierten die Oberbürgermeister einiger besonders klammer Kommunen, darunter Dortmund, Oberhausen und Gelsenkirchen, und zwar pünktlich zum Wahlkampfbeginn. Gerade die Großstädte im Ruhrgebiet seien extrem knapp bei Kasse - und müssten dennoch für den Osten zahlen, so der Grundtenor der OBs, die allesamt ein SPD-Parteibuch in der Tasche tragen.
Was sollen die Herren Sozialdemokraten auch tun? Sie könnten Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel an den Pranger stellen, der zur Jahrtausendwende eine vermurkste Gewerbesteuerreform vorlegte. Seitdem sprudelt die wichtigste kommunale Einnahmequelle viel schwächer. Doch Hans Eichel ist, ebenso wie die kommunalen Kritiker des Solis, Sozialdemokrat.
Gleiches gilt für Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjans, dessen »Stärkungspakt Kommunalfinanzen« von der Linkspartei als »Schwächungspakt« kritisiert wird. Die 34 klammsten NRW-Kommunen, die zwangsweise in den Pakt aufgenommen wurden, weisen zusammen ein strukturelles Defizit von jährlich knapp anderthalb Milliarden Euro auf. Vom Land erhalten sie pro Jahr 345 Millionen Euro.
Wollen sie ihre Neuverschuldung auf null senken (und dazu sind sie verpflichtet!), so müssen sie für jeden Euro Landeshilfe mehr als vier Euro selbst einsparen. Nur wo? Der Anteil der Pflichtausgaben liegt in den »Stärkungspakt«-Kommunen bereits jetzt bei 90 bis 97 Prozent.
Zudem stellt das Land seinen Kommunen fiktive Solidarpaktkosten in Rechnung - das behaupten zumindest 91 Kommunen, die derzeit gegen das Einheitslastenabrechnungsgesetz NRW klagen. Sie würden schlicht um zwei Milliarden Euro geprellt, behaupten die Kläger.
Der Kunstgriff des Landes: Ohne die armen Länder aus dem Osten wäre NRW früh Nehmerland im Länderfinanzausgleich geworden. Dank Sachsen, Thüringen und Co. jedoch gehe Nordrhein-Westfalen leer aus. So widme das Land angebliche Einnahmeverluste in Lasten um und stelle sie den Kommunen anteilig in Rechnung - »zugunsten des Landeshaushaltes«, wie die Anwälte der klagenden Kommunen ausführen. Das könne so nicht weitergehen.
Die NRW-Verfassungsrichter scheinen dieser Argumentation nicht abgeneigt zu sein: Die Rechnungen des Landes seien juristisch nicht nachvollziehbar, verkündeten die Juristen nach dem ersten Verhandlungstag.
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