Promotionen bringen Geld in die Uni-Kasse
Eine Bildungsministerin unter Plagiatsverdacht. Der »Fall Schavan« als Systemfehler.
nd: Ist der Vorwurf gegen Annette Schavan, bei ihrer Dissertation geschummelt zu haben, ein Versuch, eine Bastion des Bildungsbürgertums zu schleifen?
Hartmann: Das ist eine doch sehr gewagte These. Ich würde Annette Schavan nicht als Bastion des Bildungsbürgertums sehen.
Aber genau das ist doch die Haltung, mit der sie in der Vergangenheit immer öffentlich aufgetreten ist. Als der CSU-Politiker Karl-Theodor von Guttenberg im letzten Jahr als großer Abschreiber aufgeflogen ist, hat Schavan erklärt, sie schäme sich nicht nur heimlich für den Verstoß ihres Kabinettskollegen gegen den Ehrenkodex der Wissenschaftler.
Das schon, sie hat sich selber immer als ehrbare Bildungsbürgerin dargestellt, die Reputation allein wegen der eigenen erbrachten Leistung einfordert. Das sagt aber nichts über die Wirklichkeit aus. Das ist wie beim sogenannten ehrbaren Kaufmann, den es in Reinform auch nur als Mythos gibt bzw. früher gab. Wie es in der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts wirklich zuging, kann man gut in den Romanen von Heinrich Mann nachlesen. Der Bildungsbürger, dem es nur auf Fleiß, eigene Leistung und Inhalt einer Arbeit ankommt, war auch früher eindeutig in der Minderheit. Statusdenken und ökonomische Interessen waren auch unter Akademikern stets wichtiger.
Hat die Zahl der Plagiate bei wissenschaftlichen Arbeiten in den letzten Jahren zugenommen oder ist das ein Trugschluss, weil es mehr Promotionen gibt als früher?
Ob es eine Zunahme gibt, weiß ich nicht. Durch das Internet ist allerdings sowohl das Plagiieren leichter geworden als auch die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass Betrügereien aufgedeckt werden.
Sie haben einmal Promotionen wie die von zu Guttenberg oder der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder als »Karrierepromotionen« bezeichnet, die allein dem beruflichen bzw. politischen Fortkommen dienen, deren wissenschaftlicher Gehalt aber gering ist. Das dürfte doch für Annette Schavans Arbeit nicht gelten. Sie hat schon vor ihrer politischen Karriere promoviert.
Ihr Werdegang lässt allerdings vermuten, dass sie nie eine wissenschaftliche Karriere im Sinn hatte. Sie ist nach ihrer Promotion 1982 unmittelbar zum bischöflichen Studienwerk Cusanus gewechselt. Diese und ihre späteren Stationen hatten zwar immer mit Wissenschaft zu tun, waren aber nie wissenschaftliche Tätigkeiten. Ihre Dissertation fällt daher für mich eher in die Kategorie der sogenannten Karrierepromotionen.
Das heißt, die »Causa Schavan« ist mit dem »Fall Guttenberg« vergleichbar?
Ja, was den Zweck angeht, die Arbeit zur Förderung einer beruflichen Karriere außerhalb der Wissenschaft zu nutzen. Natürlich gibt es gravierende Unterschiede. Guttenberg hat in großem Stile ganze Passagen kopiert. Als er promovierte, hatte er bereits eine höhere politische Stellung inne, durch die er eigentlich keine Zeit mehr für eine gründliche wissenschaftliche Arbeit hatte, so dass der Verdacht naheliegt, dass er nicht einmal selbst abgeschrieben hat, sondern hat abschreiben lassen. Schavan dagegen war zum Zeitpunkt ihrer Dissertation noch Studentin und hat wohl jede Zeile selbst geschrieben. Die Vorwürfe gegen sie sind bei weitem nicht so schwerwiegend wie im Fall Guttenberg. Sie hat an einigen Stellen nicht zitiert und zudem auf Originalquellen verwiesen, ohne sie selbst gelesen zu haben und die Sekundärliteratur zu erwähnen, derer sie sich bedient hat.
Der »Fall Schavan« ist nur einer in einer Reihe prominenter Personen mit Doktortitel, die sich in den letzten Wochen und Monaten Plagiatsvorwürfen ausgesetzt sahen. Der Präsident der Universität Potsdam spricht von »Hobby-Doktoranden ohne wirkliches wissenschaftliches Interesse«, denen man künftig die Promotion verweigern sollte. Zieht der Wissenschaftsbetrieb die richtigen Lehren?
Auch wenn die Uni Potsdam das ernst meint, durchsetzen wird sich eine solche Sicht nicht.
Warum nicht?
Eines der zentralen Kriterien bei der Vergabe von öffentlichen Geldern ist inzwischen die Anzahl der Promotionen. Promotionen bringen richtig Geld. Für diese Art Wettbewerb ist übrigens Schavan mitverantwortlich, denn sie gehört zu denen, die die hochschulpolitischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen haben.
Könnte die Debatte um Karl-Theodor zu Guttenberg oder wie jetzt bei Annette Schavan wenigstens dazu führen, dass das Bedürfnis schwindet, allein um des Titels willen zu promovieren?
Das denke ich nicht. Die Promotion ist immer noch lukrativ. In der Wirtschaft schlägt ein Doktortitel beim Jahreseinkommen mit durchschnittlich 10 000 Euro Plus zu Buche. Für einen niedergelassenen Anwalt ist der Titel auf dem Namensschild ein klarer Wettbewerbsvorteil. Den werden sich die meisten nicht nehmen lassen, wenn sie wissen, dass sie ihn mit einem vergleichsweise geringen Aufwand erreichen können.
Glauben Sie, dass Annette Schavan ihren Doktortitel zurückgeben muss?
Nein, dass kann ich mir nicht vorstellen. Aber sicher ist das nicht, ich habe mich schon im Fall Guttenberg geirrt. Wenn der Fall juristisch brisant wird, könnte sie vielleicht doch die Reißleine ziehen. Der Fall Schavan hat hoffentlich etwas Positives, indem er den Anlass bietet, ihre bildungspolitischen Positionen kritisch zu hinterfragen. Annette Schavan hat immer so getan, als ob Erfolg in Studium und Wissenschaft nur von der Leistung abhängig sei, sich für Begabtenstipendien und Eliteförderung ausgesprochen und das Bafög sträflich vernachlässigt. Diese Position wird sie aufgrund ihres durch die Plagiatsaffäre angekratzten Ansehens öffentlich so deutlich wohl nicht mehr vertreten können.
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