LINKE fürchtet einstürzenden Neubau

In Göttingen entscheidet die Partei über ihr Führungspersonal und über ihre Zukunft

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach Wochen von Ungewissheit und Streit ist das Wochenende der Entscheidung über den neuen Parteivorstand der LINKEN gekommen. Heute und morgen findet ein Parteitag in Göttingen statt. Die Entscheidung kommt damit einer Befreiung gleich. Doch sind auch Warnungen vor Spaltung hörbar.

Wenn am heutigen Sonnabend der Parteitag der LINKEN in Göttingen zusammenkommt, geht damit eine Legislatur zu Ende, die Anfang 2010 mit dem Versuch einer kooperativen Führung begann, aber von wenig erfolgreicher Kooperation begleitet war. Die nach Quotenproporz zusammengesetzte Parteispitze aus je zwei Vorsitzenden, Bundesgeschäftsführern und Parteibildungsbeauftragten soll diesmal von einer kleineren, aber handlungsfähigeren Führung ersetzt werden. Doppelt besetzt wird nur die Parteispitze.

Hier allerdings liegen die großen Ungewissheiten des Parteitags. Nach heftiger Kritik an der Führung und einem vorzeitigen Rücktritt von Gesine Lötzsch wegen der Erkrankung ihres Mannes richten sich Vorwürfe gegen Klaus Ernst als Vorsitzenden, der nicht vor dem Parteitag dafür gesorgt habe, dass gemeinsam mit den Landesverbänden eine arbeitsfähige Parteispitze gesucht wurde. Ernst, der zunächst die Kandidatur von Oskar Lafontaine - der Ex-Vorsitzende soll heute eine 15-minütige Rede halten - unterstützt hatte, sprach sich nach dessen Rückzug zunächst für die Fraktionsvizevorsitzende Sahra Wagenknecht aus, hat inzwischen aber auch eine Doppelspitze aus zwei Frauen befürwortet. Über eine eigene Kandidatur schweigt er sich bislang aus.

Das Angebot einer weiblichen Doppelspitze liegt von Katja Kipping, Parteivize, und der NRW-Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen vor. Doch große Teile der Partei befürworten eine Kandidatur von Sahra Wagenknecht, die sich bisher zurückgehalten hat - mit der gleichen Begründung, die Lafontaine zum Rückzug bewog. Sie wolle eine Kampfkandidatur vermeiden, die zum Showdown des Parteitags führen würde, sagte sie im nd-Interview. Damit wandte sie sich direkt gegen den Vertreter des vor allem ostdeutschen Reformerflügels, Fraktionsvize Dietmar Bartsch, der nach Wagenknechts Meinung mit seinem Rückzug für eine Befriedung sorgen sollte. Bartsch hat dies zurückgewiesen.

Die Fronten haben sich mit weiteren Kandidaturen verhärtet, die jeweils als Stärkung der einen oder anderen Seite interpretiert wurden. So werden Dora Heyenn (Fraktionschefin in Hamburg) als Westpendant von Bartsch und Bernd Riexinger (Landeschef in Baden-Württemberg) als Westpendant einer ostdeutschen Vorsitzenden gehandelt. Es ist allerdings keine im Gespräch, nachdem Katja Kipping abgelehnt hat. Anwärterin könnte noch die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann sein.

Angesichts absehbarer Kampfabstimmungen werden Warnungen lauter, die mit dem Sieg einer Seite die Niederlage der Gesamtpartei kommen sehen. Bundestags-Fraktionschef Gregor Gysi sprach in der »Süddeutschen Zeitung« die Hoffnung aus, »dass die Delegierten den Ernst der Situation erkennen. Entweder es gelingt ein Neubeginn, oder es endet in einem Desaster bis hin zu einer möglichen Spaltung.« Appellen, Bartsch solle von der Kandidatur zurücktreten, widersprach Gysi: »Jede und jeder hat das Recht zu kandidieren. Man sollte nicht öffentlich vorschlagen, dass einer auf seine Rechte verzichtet.« Kipping warb auf einer Vorstandssitzung in Göttingen für eine »neue Führungskultur«. Das Modell »einer starken autoritären Führung« habe große Erfolge gebracht, aber auch die jetzige Krise. Man müsse wegkommen vom Glauben an eine Person, es brauche mehr Teamgeist.

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