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Lob des Eräugnisses

dOCUMENTA (13), Wallfahrer, der Kunstmarkt und die Zeichen der Zeit

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Sonnabend eröffnet die 13. Ausgabe der Kunstausstellung documenta in Kassel. Eine Schau mit bewegter Geschichte. 1955 als Begleiter der Bundesgartenschau in Kassel erstmals veranstaltet, war 1972 die d5 eine Zäsur. Der Schweizer Harald Szeemann zog eine Großraum-Inszenierung auf, mit Happenings und einem Joseph Beuys im Boxring, nannte sie eine »Verzauberung auf Zeit«. Sie machte Schule. Heute sind Supershows der Kunst Alltag. Ebenso der mediengetriebene Wallfahrtscharakter dieser Nachfahren der Weltausstellungen, die Walter Benjamin »Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware« nannte.

Längst ist die documenta eine touristische Großveranstaltung geworden. Der jeweilige Kurator (resp. das Kuratorenteam, inzwischen ganze Netzwerke) des »Museums für hundert Tage« ist fast schon nicht mehr genötigt, den Stadt- und Landesoberen den nächsten Publikumsrekord zu versprechen: Documenta ist ein Markenname geworden, zieht wie von allein.

Kurz vor Beginn haben schon die Medien ihren Part absolviert. Die Kulturjournalisten schauen sich exklusiv, im Schnelldurchlauf und damit das Auffassungssystem vergewaltigend, im weitläufigen documenta-Areal um, fällen ein Urteil, als wenn es um Sieger und Besiegte ginge: Daumen rauf, Daumen runter. Wobei es meist im Vorfeld und während der jeweiligen Ausstellung durchaus Diskussionen, Aufregung, Provokationen, Proteste gab. Einst gar lud ein aufgebrachter Bürger vorm Museum Fridericianum als Meinungsäußerung eine Karre Mist ab. In späteren Bilanzen bekam die jeweilige documenta dann bessere Noten. Wie dem auch sei, am Ende jeder documenta tauchen die documenta-Pilger garantiert als Zahl im Wirtschaftsteil der Medien (und als Supereinnahme im Stadt- und Landessäckel) wieder auf.

Damit das so ist und bleibt, heißt das Motto: Ereignis muss sein. Da läuft die Herde willig hin. Auch dass beispielsweise in immer mehr deutschen Städten Museumsnächte organisiert werden, in denen sich Besucherscharen im Galopp durch die Tempel von Kunst und Kultur schleusen lassen, widerspiegelt den Hang zu kollektiver Selbstbegeisterung. Der Lockruf, dass die documenta Ereignis sei, wird derart kräftig tiriliert, dass sich der Inhalt hinter der Präsentation verläppert.

Denn das Eräugnis, jenes Fest für Augen, Geist und Seele, das normalerweise in jedem Museum, in jeder Galerie, ja im stillen Kämmerlein zu Hause zu haben ist, die Zwiesprache mit einem Kunstwerk, die länger als zwei Minuten dauern muss, um in uns etwas zu bewirken, diese Form des Sich-Ereignens kann hier einfach nicht stattfinden. Hier ist das Dabeigewesensein alles.

Physische Anwesenheit und geistiger Zugang und Gewinn aber sind zweierlei Dinge und hier weiter voneinander entfernt als andernorts, wo es um Auseinandersetzung durch und mit Kunst und Kultur geht. Wer glaubt, er kann mehr als nur oberflächlichen Kontakt mit einem Kunstwerk im Sekundentakt aufnehmen, irrt sich. Wenn Kunst das ist, was außerhalb unseres alltäglichen Erfahrungshorizonts liegt, kann sie nicht begriffen und zum Katalysator für Veränderungen in eben dieser Erfahrungswelt werden auf einem Rummel, als der auch eine solche Großveranstaltung wie die documenta (mit zweistelligem Millionenetat) mittlerweile erscheint. Sage einer, er habe im Louvre die Mona Lisa gesehen. So? An Menschentrauben vorbei hat er geblickt, ein »Aha« genickt, Größe, Farbe, Kontur wahrgenommen, und das war's. Nichts hat er gesehen, nichts gefühlt außer den unsichtbaren Stift zwischen den Fingern beim Abhaken.

Auf jeden Fall: Kassel ist Aufmerksamkeitsmittelpunkt und Nutznießer der Gier. Nur ist Neu-Gier nicht gleich Wissbegier und Erleben eines Kunstwerks. Letzteres setzt Arbeit, Ruhe, Versenkung voraus. Nicht bloß ein Vorbeibrausen.

Andererseits: Dies passt zum heutigen Klima im Kunstbetrieb, zur enormen Beschleunigung, die ihn in den letzten Jahren erfasst hat. Der Schau-Platz documenta als Überblicksort für aktuelle Tendenzen in der Kunst muss sich gefallen lassen, mehr und mehr als Schau-Raum für den Kunstmarkt, als dessen Durchlauferhitzer zu fungieren. Versuche der letzten drei documenta-Kuratoren, diesen Mechanismus nicht zu bedienen, ändern nichts daran, selbst wenn sie l'art-pour-l'art-ferne Themenbanner wie Globalisierung, Rassismus, Postkolonialismus, Feminismus Ökologie auf ihre Kunstplattform hissten. Wiedersehen im Wirtschaftsteil der Medien.

Sollte es bei der d13 anders sein? »Was manche dieser Teilnehmer tun, und was sie in der dOCUMENTA (13) ausstellen, mag Kunst sein oder auch nicht«, sagt die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev, und erklärt Tomaten oder Apfelbäume zu Kunst. Sie lässt Pflanzen anbauen für Schmetterlinge. Denen soll ihr Garten gefallen. Menschen stünden diesmal nicht im Mittelpunkt, füttert sie die Erwartungen an. Wahlrecht für Hunde. Kann sich die Weltkunstfrau vorstellen. Oha. Wächst hier das Ferment, durch das alle (Kunst-)Welten umgestürzt werden? Das wäre doch mal was. Oder bleibt's beim business as usual auf der Spielwiese?

Das alte Lied, nur mit neuer Besetzung: Gegen den Strich bürsten ist schick und dient der Profilierung des Kurators. Und dem Marktwert der Künstler. Wohl keiner, der nicht eine zahlkräftige Galerie hinter sich hätte, um seinen d13-Auftritt bezahlen zu können - und der er durch Renommeegewinn wiederum die Auslagen in frische bare Münze zu verwandeln ermöglicht.

»Weder die Materie, noch der Raum, noch die Zeit sind seit zwanzig Jahren, was sie seit jeher gewesen sind. Man muss sich darauf gefasst machen, dass so große Neuerungen die gesamte Technik der Künste verändern, dadurch die Intervention selbst beeinflussen und schließlich dazu gelangen werden, den Begriff der Kunst selbst auf die zauberhafteste Art zu verändern.« Paul Valéry, Pièces sur L'Art, 1931. Immer noch und wieder aktuell.

dOCUMENTA (13), Kassel, bis 9. September, täglich 10-20 Uhr

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