Europa unter Merkels »falscher Flagge«
Kanzlerin drängt auf Ausbau der politischen Union / Kritik der LINKEN
Berlin (Agenturen/nd). Europa brauche nicht nur eine Währungsunion, sondern auch eine Fiskalunion, also mehr gemeinsame Haushaltspolitik, sagte Merkel dem ARD-»Morgenmagazin«. Notwendig sei vor allem eine politische Union, »das heißt, wir müssen Schritt für Schritt auch Kompetenzen an Europa abgeben, Europa auch Kontrollmöglichkeiten einräumen«.
Die LINKE kritisierte Merkels Ambitionen. »Solange Europas Regierende eine Sozialunion für unnötig halten, das Europäische Parlament weiter als Randerscheinung der Regierungen behandeln, Europa im Bann der Finanzmärkte knebeln und vornehmlich über Kürzungsdiktate definieren, wird ein solches Mehr an Europa zur existenziellen Bedrohung für die europäische Idee«, erklärte der Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi. »So richtig und wichtig es ist, die europäische Integration zu vertiefen, so sehr wird sie scheitern, wenn es dabei um Bankenrettung, Sozialabbau und Lohnkürzungen sowie einen Schuldenabbau geht, zu dem die Vermögenden nichts, aber auch gar nichts beitragen müssen. Europa segelt unter falscher Flagge, wenn es Merkel weiter den Kurs bestimmen lässt.« Deren Plädoyer für ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, so Gysi, »spaltet den Kontinent de facto in drei Gruppen: ein sogenanntes Kern-Europa, ein EU-Peripherie-Europa und ein Nicht-EU-Resteuropa. Das ist das Ende eines Europas der Demokratie, Solidarität, Freiheit und des Friedens.«
Merkel und der britische Premierminister David Cameron erklärten am Donnerstag nach einem Treffen in Berlin, der Fiskalpakt sei ein wichtiger Baustein bei der Bewältigung der europäischen Finanzkrise, reiche allein aber nicht aus. Cameron sagte, er sehe wie Merkel aber keinen Konflikt zwischen Haushaltsdisziplin und Wachstumspolitik. Der Fiskalpakt könne zudem auch durch Elemente einer »Bankenunion« flankiert werden. Großbritannien ist selbst nicht Mitglied der Eurozone und eines der zwei von 27 EU-Ländern, die den Fiskalpakt nicht ratifizieren wollen. Cameron bekundete gleichwohl Interesse an einer Beilegung der Eurokrise im Hinblick auf ein »erneutes gesundes Wachstum« in ganz Europa.
Cameron hatte am selben Tag vor zu viel Bürokratie in einer weiter zusammenwachsenden Union gewarnt. Die europäische Identität solle »auf praktische, vernünftige Art« von den Menschen aufgebaut werden, so der Premier bei einer Diskussionsveranstaltung gemeinsam mit Merkel, Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg und mehr als 100 Studenten unter dem Titel »Zukunftsdialog« in Berlin. Die EU habe kein Problem mit mangelnden Verantwortlichkeiten, »sondern damit, dass Europa manchmal versucht zu rennen, bevor es gelernt hat, zu gehen«, sagte Cameron.
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