Rebell

Matthias Lilientahl beendet seine große Intendanz am Berliner HAU

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Er ist, als körperlich-geistiges Gesamtkunstwerk, wahrlich eine Wucht. Stromer, Streuner, aber hochkonzentriert. Er täuscht den Plebejer vor und donnert mit seiner Intelligenz drauf. Am intelligentesten ist er in jeansschlabbernder Souveränität, nicht als Intellektueller wirken zu müssen.

Er inspirierte erste Regieschritte Christoph Marthalers in Basel, und acht starke, wüste Spielzeiten war er Frank Castorfs Chefdramaturg an der Berliner Volksbühne - der Neuköllner Matthias Lilienthal. Neun Jahre stieg er dann auf zum Herrn der drei Dinge, die da heißen: Berliner Hebbel Theater, Theater am Halleschen Ufer und Theater am Ufer. Das Kürzel, immer zuschlagbereit: HAU. Ein heiteres, rebellisches, ungefüges Zu-Schlagen war das - wider das deutsche Stadttheater, dessen Häuser er in der »Zeit« als »vernagelte Kisten« bezeichnete.

Lilienthal, 1959 geboren, sieht man die Gewissheit an, dass im Chaos Klarheit möglich ist. Gibt es Worte, die seinen Theatersinn erklären? Sozio-kultureller Grenzverkehr vielleicht, Asozialität von Jugend, Auflösung der Barrieren zwischen Tanz und Schauspiel, Musik und Dokument. Er spricht von kalter, aber »hysterischer Sehnsucht nach Realität« - dies Sehnen beginnt dort, wo man das eigene soziale Umfeld als das reizvoll ungefüge Fremde entdeckt.

Er war mal Programmchef von »Theater der Welt«, ab 2014 wird er dieses Festival kuratieren. Das Verbinden von städtischer Szene und anderen Kulturen wird also seine Leidenschaft bleiben. Ein Mann der knittrigen T-Shirts; verstörungsfröhlich, irritationsgierig. Er sieht in jeder Verweigerung von Ideologie eine große Kraft. Aber diese Verweigerung hat für ihn nicht Schweige-, sondern Diskurspflicht: Theater soll »das Maul aufreißen«, sich aus der Welt in die Lokalität schrauben und umgekehrt. Confessio eines Ex- Hausbesetzers. Denken und Fühlen aus der Tiefe, vom Rand her.

Nun lehrt er bald Kunststudenten in Beirut. Wieder so ein Ort des Staubs, der Hitze, der Schattenlinien, des heimatlosen Friedens. Wo vieles fehlt, ist alles möglich. Lilienthals politische Ökonomie. Die pure Poesie.

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