Schwarz-rot-goldener Antikommunismus
Vor 40 Jahren wurden der Radikalenerlass beschlossen. Betroffene fordern umfassende Rehabilitierung
Heute kommen in Berlin die Ministerpräsidenten der Länder zu einer Konferenz zusammen und stimmen unter anderem ihre Energiepolitik ab. Auch die Bundeskanzlerin wird dabei sein. Die Ministerpräsidentenrunde hat vor 40 Jahren traurige Berühmtheit erlangt durch einen Beschluss, der als Radikalenerlass in die Geschichte der Bundesrepublik einging. Personen, die »keine Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten«, sollen aus dem öffentlichen Dienst »entfernt« oder gar nicht erst zugelassen werden. Eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gilt als Grundlage, wer als »Verfassungsfeind« eingestuft und somit gnadenlos politisch verfolgt wird.
Lehrer, Eisenbahner, Postler, öffentliche Angestellte und Beamte erhalten Berufsverbot. Hauptsächlich Mitglieder der DKP. Aber auch, wer als Sozialdemokrat, Juso, Antifaschist, Christ oder junger Liberaler ihnen gedanklich zu nahe kommt, gerät ins Visier. Bilanz: 3,5 Millionen Menschen werden durchleuchtet, 11 000 offizielle Berufsverbotsverfahren und 2200 Disziplinarverfahren eingeleitet, 1250 Bewerbungen abgelehnt, 265 schließlich entlassen.
Beispiel Marburg. »Junge, geh zur Post. Da hast du als Beamter einen sicheren Arbeitsplatz.« Dies riet der Dachdecker Bastian seinem 14-jährigen Sohn Herbert. Er wusste, was es bedeutet, in den Wintermonaten arbeitslos zu sein. Und es läuft auch gut: Herbert Bastian wird beamteter Posthauptschaffner, bekommt für seine Tätigkeit als Stadtverordneter der DKP Dienstbefreiung für Sitzungen, ist gewerkschaftlicher Vertrauensmann und erhält zum 25-jährigen Dienstjubiläum eine urkundliche Ehrung von seinem Dienstherrn. Aber da wirft das Berufsverbot schon seinen Schatten. 1979 wird ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, um zu prüfen, ob er die geforderte Gewähr biete. Er wird bei Kürzung der Bezüge vom Dienst suspendiert und 1984 entlassen, weil er sich weigert, sein Mandat - Stein des Anstoßes - niederzulegen. Nun steht er ohne einen Pfennig und ohne Pensionsanspruch da. »Vom Volk gewählt - vom Staat gefeuert« lautete der Protest.
Die 1970er und 80er Jahre verliefen widersprüchlich. Zunächst wollte der erste sozialdemokratische Bundeskanzler, Willy Brandt, mehr Demokratie wagen. Vorsichtig begann eine neue Ostpolitik. Gleichzeitig wurden Berufsverbote praktiziert. Sie sind als ein individuell auf die Mitglieder bezogenes, informelles Verbot der DKP zu bewerten. Dieser Erlass, der Linke existenziell bedroht, muss zurückgenommen werden.
Genau das fordern 253 politisch Verfolgte, die das vierzigste »Jubiläumsjahr« zum Anlass nehmen, der Bundeskanzlerin die Forderungen vorzutragen: Aufhebung des Radikalenerlasses, Rehabilitierung der Berufsverbotsopfer, Öffnung der Verfassungsschutzakten, Entschädigung. Brandt hat die Berufsverbote rückblickend als Fehler bezeichnet. Was hindert wen, diesen für die Zukunft zu revidieren?
Herbert Bastian - und nicht nur er - wurde damals in einer schwierigen Situation aufgefangen durch die Solidarität in einem Land, in dem Antikommunismus ein Teil der Staatsdoktrin war. Zahlreiche Komitees wurden gegründet, die Gewerkschaften - oft selbst dem Zeitgeist verhaftet - erteilten Rechtsschutz für langwierige Prozesse, der Heinrich-Heine-Fonds half über die schlimmsten finanziellen Nöte. Das Marburger Stadtparlament erklärte sich für ihn, der Oberbürgermeister (SPD) und ein Landtagsabgeordneter von der CDU setzten sich ein.
Auch aus dem Ausland kam Solidarität. Die Internationale Arbeitsorganisation rügte die Bundesrepublik. Sicherlich nicht zuletzt vor diesem Hintergrund »begnadigte« der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Ende 1989 Bastian. Er selbst betrachtete es als Rehabilitierung. Die muss für alle Entfernten, Ferngehaltenen und Überprüften erreicht werden. Es ist an der Zeit.
Die Autorin ist Herbert Bastians Witwe.
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