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Zwischen Leugnung und Dramatisierung

An den Grundschulen fehlen männliche Lehrer, doch Maßnahmen dagegen gibt es kaum

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 4 Min.
Dass männliche Erzieher in Kindergärten die absolute Ausnahme sind, hat sich herumgesprochen. Dass es an Männern in den Grundschulen ebenso mangelt, wird bisher weitgehend ignoriert.

Die Grundschüler aus Agathaberg bei Wipperfürth machten auf ein drängendes Problem aufmerksam. »Mann, werd' Lehrer!« stand auf den neun selbst gestalteten Plakaten, die die Viertklässler an Gymnasien und Gesamtschulen im Bergischen Land aufhängten. Die Arbeitsgruppe »Mentos« (Abkürzung für »Men to school«, Männer an die Schulen) wollte auf diese Weise Abiturienten, aber auch Betriebspraktikanten in der neunten oder zehnten Klasse für den Beruf des Grundschullehrers motivieren.

Anlass für die ungewöhnliche Aktion war eine Personalie. Der einzige männliche Pädagoge der Grundschule Agathaberg wechselte im Sommer 2010 seine Stelle. »Wir haben nichts dagegen, von Lehrerinnen unterrichtet zu werden«, betonten die Mitglieder der AG Mentos. Aber »ein männlicher Lehrer kann uns Jungs besser verstehen, wenn wir mal Mist gebaut haben«, erläuterte ein beteiligter Schüler.

Die Schule liegt im Trend. Bundesweit gibt es viel zu wenig Männer an den Grundschulen. Der durchschnittliche Anteil der Lehrer in der Primarstufe sinkt seit Jahrzehnten. Er liegt inzwischen bei nur noch zwölf Prozent. Die niedrige Zahl männlicher Studienanfänger für das Grundschullehramt verheißt keine Trendwende. Viele Schulkollegien freuen sich schon über einen einzigen Mann - der nicht zufällig oft gleich der Rektor ist. Das liegt auch an der Bezahlung: Pädagogen an Gymnasien erhalten deutlich mehr Geld als Grundschullehrer. Entsprechend liegt der Männeranteil dort höher, mancherorts immer noch bei über 50 Prozent (siehe Kasten).

Jungen brauchen männliche Vorbilder und Identifikationsfiguren auch außerhalb der Familie. Mädchen brauchen Männer ebenso, als das andersgeschlechtliche Gegenüber. Das klingt banal, wird in der bildungspolitischen Fachdiskussion aber zum Teil vernachlässigt oder gar geleugnet. Die Hamburger Pädagogik-Professorin Hannelore Faulstich-Wieland zum Beispiel spricht von einer »Dramatisierung des Geschlechts«. In das gleiche Horn stößt der Soziologe Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), der sich gegen die These von der »feminisierten Schule« wendet. Das Geschlecht der Lehrkräfte habe nur nachrangige Bedeutung, jedenfalls seien nicht die Lehrerinnen »für den geringeren Schulerfolg der Jungen verantwortlich«. Feministisch orientierte Erziehungswissenschaftlerinnen spielen den Mangel an männlichen Lehrern herunter, während das Thema umgekehrt von maskulinistischen Vereinen aufgebauscht wird. Männerrechtler-Gruppen wie »MannDat« und »Agens« betrachten männliche Schüler pauschal als »Bildungsverlierer«.

Mit den zugespitzten theoretischen Kontroversen können die pädagogischen Praktiker oft wenig anfangen. Sie machen ihre konkreten Erfahrungen, und die sind meist eindeutig. »Viele in der Schule gewünschte Verhaltensformen sind auf der weiblichen Seite angeordnet«, beobachtet Andreas Scholten, Fachlehrer an der Grundschule »Berg Fidel« in Münster. »Sich lange mit etwas zu beschäftigen, Gefühle zuzulassen, in der Runde was zu sagen: Das sind alles Anforderungen, die manche Jungs etwas nervös machen können.« Männliche Schüler, glaubt Scholten, würden »nicht gesehen in dem, was ihnen wichtig ist«.

Das berechtigte Bemühen darum, einseitige Schuldzuweisungen an die Pädagoginnen zu vermeiden, lenkt vom Kern des Problems ab. Es geht nicht um generelle Kritik an der Arbeit von weiblichen Lehrkräften. Eine nennenswerte Masse von Männern an den Grundschulen würde - ähnlich wie bei Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft - einfach ein wichtiges Korrektiv bilden. Nicht weil Lehrer »besser«, sondern weil sie anders sind und die Schulsituation bereichern.

Was hält männliche Studienanfänger trotz aller Appelle davon ab, sich in diese Richtung ausbilden zu lassen? Am Verdienst allein dürfte es nicht liegen - der ist gar nicht so niedrig, wenn man die sichere Berufsperspektive und die vergleichsweise familienfreundlichen Arbeitszeiten berücksichtigt. Wichtigere Hemmnisse bilden Identitätsprobleme und Imagefragen unter Gleichaltrigen. »Wenn ein Mann mit uns singen muss, dann ist ihm das vielleicht unangenehm«, sagt treffend einer der Schüler aus dem »Mentos-Projekt« im Bergischen Land. Dabei sei das »eigentlich gar nicht peinlich«.

Die Berufswahl vieler junger Männer ist weiterhin von Rollenstereotypen geprägt. An Autos zu schrauben oder Maschinen zu warten gilt in der Clique mehr als die Arbeit mit Kindern. Die rein fachlichen Anforderungen erscheinen in der Primarstufe nicht allzu hoch, der Schwerpunkt liegt eher in der Didaktik, in der persönlichen Zuwendung und im Herstellen emotionaler Nähe. Die Debatte um sexuellen Missbrauch der letzten Jahre, die männliche Pädagogen manchmal pauschal mit Pädokriminellen in Verbindung brachte, schreckt zusätzlich ab. Da braucht es viel Selbstbewusstsein, trotzdem unbeirrt seinen Weg zu verfolgen. An Hochschulen in Hamburg, Bremen und Hildesheim gibt es inzwischen Projekte, die sich um einen Imagewandel bemühen und mehr Männer motivieren wollen, Lehrer zu werden. Noch handelt es sich um vereinzelte Leuchttürme. Eine flächendeckende Kampagne für Männer im Grundschullehramt - wie sie das Bundesfamilienministerium für den Erzieherberuf im Projekt »Mehr Männer in Kitas« unterstützt - lässt bislang auf sich warten.

Der Autor ist Verfasser von mehreren Männerbüchern, zuletzt »Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere« (Verlag Barbara Budrich 2010) und »Die Krise der Kerle« (Lit Verlag 2007).

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