Ernennung im Suff
Wie Helmut Roewer Verfassungsschutzchef in Thüringen wurde und den rechten Terror bekämpfte
Man musste sich immer wieder daran erinnern, dass es um rechtsextremistischen Terror geht, um rassistische Morde an neun Mitmenschen und den an einer jungen Polizistin. Nur so konnte man es vermeiden, die Verfassungsschutz-Typen, die im Landtag von Thüringen als Zeugen aufmarschierten, wie Comedy-Stars zu beklatschen. »Stargast« am Montag war: »Roewer, Helmut, Schriftsteller, 63 Jahre alt, wohnhaft in Weimar, ledig.« Er leitete das Landesamt für Verfassungsschutz von 1994 bis 2000. Nach zahlreichen Querelen innerhalb des Amtes und andauernden Indiskretionen wurde er suspendiert.
Balzender Auerhahn mit schwarzen Füßen
Abgehackt, respektlos war der kleine Mann den Abgeordneten entgegengetreten. Antworten warf er ihnen wie Fehdehandschuhe vor die Füße. »Meiner Erinnerung nach«, begann er oft, doch dann war da nichts Hilfreiches, Aufklärerisches, woran er sich erinnerte. Nicht einmal daran, dass er wie ein »balzender Auerhahn« mit sechs Damen »bei Rotwein, Käse und Kerzenlicht« in seinem Dienstzimmer zusammensaß. Zeugen erinnern sich dagegen gut. Auch daran, dass Roewer im Flur des Dienstgebäudes ein Fahrrad »testete«, das er seinen Observanten als Dienstfahrzeug antragen wollte. Schließlich hatte er selbst so ja auch schon Nazidemos begleitet. Auch dass er barfuß und daher schon bald mit schwarzen Füssen durch sein Amt schlich, war ihm »nicht erinnerlich«.
Gleiches gilt für die Art und Weise, wie der Mann aus dem Bundesinnenministerium in Bonn oberster Verfassungsschützer in Thüringen wurde. Zunächst erklärte er es mit seiner ihm eigenen »Bescheidenheit«. Er habe nun einmal »erhebliche Erfahrungen auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes gehabt« und sei »eine Spitzenkraft« gewesen. Und wie hat er sich aufgeopfert! Im Thüringer Amt habe es keine einzige Person gegeben, die die erforderlichen Voraussetzungen für den Geheimdienstjob erfüllte - »außer mir«. Er schritt am Montag zur gnadenlosen Abrechnung mit ehemaligen Mitarbeitern. »Ein Teil wurde fortgebildet, der andere Teil war nicht fortbildungsfähig.« Die jedoch klebten an ihren Sitzen: »Denn gute Leute finden immer einen Job, dumme nicht.«
Roewers Erinnerungslücken reichen zurück bis zum Tag, an dem er seine Ernennungsurkunde bekam. Wer ihm das Dokument überbrachte? Roewer wusste nur, dass es dunkel war. So wie der Sinn seiner Worte. Sie hellten sich erst im Verlauf der Vernehmung etwas auf: »Wenn Sie es genau wissen wollen (...) da war ich betrunken. Jedenfalls hatte ich sie am nächsten Morgen, das ist sicher.«
Der Versuch der Linkspartei-Abgeordneten Martina Renner, die ernennende Seilschaft einzugrenzen, blieb im Ansatz stecken. Als sie Roewer fragte, ob er eine Immobilie in St. Augustin besitze, bellte er zurück: »Das geht Sie gar nichts an.« St. Augustin? Wer ein wenig recherchiert, weiß, dass Günter Schuster (CDU), der zu Roewers Thüringer Einstellungszeit in Erfurt den Innenminister gab, aus St. Augustin kommt.
Als man vom einstigen Superspion wissen wollte, welche Neonazi-Gruppierungen zu seiner Amtszeit in seinem Verantwortungsbereich aktiv waren, sagte Roewer: »Das weiß ich nicht mehr im einzelnen.« Gerade noch, dass er auf die Frage, was der »Thüringer Heimatschutz«, aus dem die drei Neonazi-Terroristen hervorgingen, für ihn gewesen ist, sagte: »Gar nichts.« Er empfahl, in die Verfassungsschutzberichte zu schauen und knurrte: »Ich antworte jetzt nicht mehr.«
Solche »Ungezogenheiten« beeindruckten dann auch manche Abgeordnete. Selbst die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) zog sich mehrmals auf Roewer-Größe zusammen. Aber so führt man keine Befragung. So bekommt man nicht einmal etwas über den ominösen V-Mann »Günter« heraus, den Roewer selbst rekrutiert haben will. Keiner in der Behörde kannte »Günter«, der 40 800 Mark kassiert haben soll - außer Roewer. Wofür der Spitzellohn gezahlt wurde, ist ebenso unklar wie der Verbleib von Geldern aus Roewers Verfassungsschutz-Tarnfirmen.
Für alle damaligen Amtsfragen gilt: Eine Sach- und Fachaufsicht hat es nie gegeben und Roewer »setzte selber sein Recht«. Das jedenfalls sagte sein Untergebener Karl Friedrich Schrader, für Rechtsextremismus zuständiger Referatsleiter. Er war vom Amtschef suspendiert worden und lebte bei vollen Bezügen rund sieben Jahre sorgenfrei in seiner rheinischen Heimat.
Keine Ahnung von »Rennsteig«
Was fanden die untersuchenden Abgeordneten nun Neues heraus? Beispielsweise zur Operation »Rennsteig«, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz, vom Thüringer Landesamt und dem Militärischen Abschirmdienst gemeinsam zwischen 1997 bis 2003 ausgeführt wurde, um mehr über die Naziszene in der Region und besonders über die drei untergetauchten Bombenbauer und späteren Mörder Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu erfahren. Jüngst war bekannt geworden, dass im Bundesamt »Rennsteig«-Akten während der Ermittlungen gegen das NSU-Mördertrio geschreddert wurden. Das brachte dem Amtschef Heinz Fromm die vorgezogene Pensionierung und dem Thüringer Landeschef Thomas Sippel die Entlassung ein.
Im Grunde konnte sich Schrader nur erinnern, von »Rennsteig« jetzt in der Presse gelesen zu haben. Kollege und ebenfalls Referatsleiter Norbert Wießner, der den wichtigsten V-Mann in der Thüringer Naziszene - Tino Brandt - rekrutiert und teilweise geführt hat, tat es Schrader gleich: Null Ahnung.
Immer wieder kreisten die Fragen um diesen V-Mann 2045, Deckname »Otto«. Die Geheimdienstler fanden nichts dabei, dass sie mit Brandt einen Spitzel üppig bezahlten, mit PCs, Handys und einem Autokaufzuschuss versahen, der Führer des »Thüringer Heimatschutzes« und Spitzenmann in der Thüringer NPD war. Es habe ihn »glatt umgehauen«, als er hörte, dass gegen Brandt 35 Ermittlungsverfahren von Polizei und Staatsanwaltschaft gelaufen sind, sagt Schrader. Wießner, der wusste, dass ein 129er Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Organisation gegen Brandt lief, deckte seinen V-Mann gegenüber Polizei und Justiz.
V-Leute vor Polizei gewarnt?
In dem Untersuchungsausschuss hatten Polizisten immer wieder den Verfassungsschutz verdächtigt, Neonazis vor Razzien gewarnt zu haben. So habe Brandt die Beamten um sechs Uhr morgens lachend erwartet. Die Festplatte des Computers, deren Daten das Ziel der Polizisten war, hatte jemand bereits ausgebaut. Immer wieder seien Polizei und Staatsanwaltschaft von den Verfassungsschützern abgeschöpft worden. Die jedoch hätten nie Informationen rübergereicht.
Befragt zur »Operation Rennsteig«, bei der das Bundesamt für Verfassungsschutz ab 1997 gemeinsam mit den Thüringer Kollegen zwölf V-Leute im »Thüringer Heimatschutz« gewinnen konnte, befällt auch Roewer Amnesie. Er habe »keine konkreten Erinnerungen«. Etwas Neues kam aber doch heraus. Im Mai 2000 regte der Verfassungsschutz beim Innenministerium ein Verbot des »Thüringer Heimatschutzes« an. Das Ministerium hat nicht reagiert.
Dann war es schon nach 22 Uhr, die Konzentrationsfähigkeit des Zeugen Roewer erschöpft. Die Ausschussvorsitzende Marx erinnerte sich an ihre Fürsorgepflicht und schickte alle nach Hause. Vorerst.
Das Tagebuch des Amtschefs
In Kürze soll ein Buch erscheinen, das - so kündigt es der einstige Amtschef Helmut Roewer auf seiner Website an - erzählen soll von »Politik, Korruption und Gewalt im Osten Deutschlands«. Der Autor liefert schon mal vorab den Klappentext:
»Im November 2011 rast eine Empörungswelle durch die Medien, ausgelöst durch eine Mordserie, welche auf der Opferseite etwa zehn ausländische Gewerbetreibende betraf und auf der mutmaßlichen Täterseite drei jüngere Nazis aus Jena.«
Roewer nimmt es nicht so genau mit den Fakten. Ermordet wurden acht Gewerbetreibende mit türkischem Migrationshintergrund, ein Mann, der aus Griechenland nach Deutschland gekommen war, sowie eine Polizistin aus Heilbronn.
Zu Beginn »der politischen Karriere dieser drei damals sehr jungen Leute« war der Autor Verfassungsschutzchef in Thüringen. »Er beschreibt anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen, wie er diese Jahre im wiedervereinigten Deutschland erlebt hat ...« Roewer rechnet mit einer »labilen Polizeistruktur« ab, widmet sich »Altlasten und unfähigen Westimporten«, die sich erbitterte Auseinandersetzungen lieferten, statt ihrem gesetzlichen Aufgaben nachzukommen. Ähnliches habe sich in den Parteien abgespielt. »Als Drittes kam zügellose Gewalt unter anpolitisierten Jugendlichen hinzu. Aus diesem brisanten Gemisch entwickelten sich jene Taten, denen wir heute empört gegenüberstehen.«
Nach dem Auftritt des Autors am Montag vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss dürfte die Neugier auf Roewers Tagebuch als seriöse Dokumentation extrem gesunken sein. hei
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