300 Stunden Programm
OLYMPIA und die Medien: Teure TV-Rechte und die Rolle des Internets bei der Rezeption der Spiele
Wer will das bloß alles sehen? Fast 300 Stunden live, dazu Reportagen, Magazine, Hintergrund. Und das nicht nur im Fernsehen, sondern online, mobil, auf allen Kanälen, überall und jederzeit. Wer gern öffentlich-rechtlich fernsieht, Leibesübungen aber doch lieber aktiv praktiziert als passiv konsumiert, wird ab 27. Juli chronisch unterversorgt. Wie alle vier Jahre im Sommer nämlich misst sich - so geht der Mythos - die Jugend der Welt fast lückenlos unter fünf bunten Ringen. Und ARZDF sind immer dabei.
Vom Luftgewehrschießen bis zum Marathonlauf, vom Kanuslalom bis zur Freistilstaffel - bis zur Abschlussfeier am 12. August wird das Mega-Ereignis gezeigt, mehr als 15 Stunden täglich. Lückenlos. Und da ist von Eurosport, das rund um die Uhr sendet, noch nicht mal die Rede. Oder der BBC, die einen Teil ihrer 5000 Live-Stunden auf Youtube verbreiten lässt. Es ist der mediale Overkill schlechthin, wenngleich ein beliebter. Denn im Schnitt schalten 85 Prozent aller Bundesbürger bei mindestens einem der gut 300 Wettbewerbe in 26 Sportarten mal ein und sorgen so für Quoten, die während der letzten Spiele ohne Zeitverschiebung in Athen selbst montags schon mal über sieben Millionen lagen - beim Kunstturnen.
Olympiazeit ist eben Fernsehzeit. Und Fernsehzeit, das ist zwar keine sonderlich geschäftige Zeit, dafür eine umso geschäftlichere. Denn seit die Spiele 1948 erstmals auch hierzulande am Bildschirm zu sehen waren, ist aus einem Randerwerb des Internationalen Olympischen Komitees ein Marketingmonstrum erwachsen. Kosteten die Übertragungsrechte bei der Nachkriegspremiere in London eine Art Bearbeitungsgebühr, war 16 Sommerolympiaden später für laufende Bilder vom gleichen Ort - wie üblich im Doppelpack mit den Winterspielen - die Rekordsumme von fast vier Milliarden Dollar ans IOC fällig. Ein Drittel mehr als zuletzt fürs Gesamtpaket Peking/Turin. Zahlbar von den ausstrahlenden Sendern der 204 Verbandsstaaten oder Anbieterpools wie der Europäischen Rundfunkunion EBU. Sie allein überweist 614 Millionen Euro an die Herren der Ringe in Lausanne, was seinerseits moderat wirkt, angesichts der rund eine Milliarde Euro, die der US-Sender NBC fürs Übertragungsrecht auf dem wichtigsten Fernsehmarkt zahlt, 32 Prozent mehr als 2008.
Und kein Vergleich zu früheren Spielen. Auf 600 Mark bezifferte zum Beispiel Harry Valérien vor 36 Jahren den Minutenpreis fürs Olympiasenden aus Montreal. Ein Bruchteil des fünfstündigen Regelprogramms, den die Übertragung ersetze, wie der ZDF-Reporter damals anmerkte. Und ein Bruchteil jener 4000 Euro, die sich Erstes und Zweites Programm heutzutage allein 60 Sekunden kosten lassen. Zumindest, wenn man die 122 Millionen Euro durch die 600 Stunden Winter- und Sommerspiele teilt. Das ist annähernd auf dem Niveau jener 4487 Euro pro Minute, die etwa ein Günther Jauch für die Karikatur eines Talkmasters erhält. Allerdings kommen bei den Olympischen Spielen noch die enormen Kosten für 480 Mitarbeiter beider Sender nebst Ausrüstung hinzu, die teils wochenlang vor Ort sind.
Ein neuer Preisschub wäre dem Publikum in Zeiten, da alle Sendeanstalten sparen sollen, folglich noch schwerer vermittelbar als 150 Millionen, die dem ZDF drei Jahre Fußball-Champions-League wert waren. Und doch scheint eine weitere Verteuerung gewiss: Weil dem IOC das EBU-Angebot von 625 Millionen Euro für die Spiele 2014/16 zu niedrig war, verhandeln große Staaten nun einzeln - was fraglos teurer wird, für Deutschland angeblich um bis zu 59 Prozent. Angesichts solcher Zahlen hat ARD-Programmchef Volker Herres die Forderung des IOC, das allein von seinen elf Hauptsponsoren im Schnitt 67 Millionen Euro kassiert, schon 2009 »völlig überzogen« genannt und den Verlust der Fernsehrechte an die Wand gemalt. Könnte also sein, dass es 2016 keine Live-Bilder vom Vorkampf im 49er-Skiff-Segeln aus Rio gibt. Auch irgendwie schade.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.