Lange laufen, besser denken
ULTRAMARATHON: Christine Kätzel rannte 210 Kilometer durchs Tal des Todes bis zum Mount Whitney
nd: Sie laufen mittlerweile regelmäßig ein Vielfaches der olympischen
Marathonstrecke von 42,195 Kilometern. Ist die Basisversion des
Marathons zu kurz?
Kätzel: Nein, der »Standardmarathon« ist unbestritten
die klassische Distanz, gerade im Hinblick auf die »olympische«
Laufgeschichte der Menschheit.
Aber sollte man ihn nicht langsam verlängern? Die Trainingsmethoden haben sich seit 2500 Jahren doch auch verbessert.
Der
griechische Historiker Herodot berichtet ja auch von einem
Pheidippides, der vor der Schlacht von Marathon mit einem Hilfsgesuch
des Strategen Miltiades von Athen nach Sparta gelaufen sei und die 246
Kilometer in anderthalb Tagen zurückgelegt habe. Vielleicht sollte man
die Strecke entsprechend verlängern?! Aber im Ernst: Ich halte das
natürlich nicht für sinnvoll.
Mit den 217 Kilometern des
»Badwater Ultramarathon« sind Sie der antiken Rekordmarke recht nahe
gekommen. Warum haben Sie sich überhaupt einer derartigen Tortur
unterzogen?
Früher hatte ich leichtes Übergewicht. Mit 28 Jahren
habe ich deshalb zu laufen begonnen. Nachdem das Gewicht stimmte, stand
beinahe zwangsläufig die nächste Herausforderung auf dem Zettel: der
Marathon - und mehr. Bis schließlich zum »Marathon des Sables« in
Marokko, 250 Kilometer in der Wüste Nordafrikas. Da blieb nur noch der
wirklich ultimative Test: »Badwater Ultramarathon«.
Wie sah die Vorbereitung aus?
Ich
haben zwei Jahre lang Kondition aufgebaut. Im Schnitt bin ich an vier
Tagen in der Woche insgesamt 80 Kilometer gelaufen. Da ging es ja auch
um ein Ausnahmeprojekt. Ansonsten lebe ich keineswegs asketisch. Wichtig
ist allein der Kopf: Falls Sie etwas wirklich und ernsthaft wollen,
können Sie das auch erreichen!
So wie die Indianer, die können
ja quasi auch ohne Pause traben. Berühmt sind die Tarahumara im Norden
Mexikos, die sollen 300 Kilometer am Stück durchziehen.
Locker und nicht aufs Tempo drücken, das ist das Geheimnis. Sieben Kilometer in der Stunde sind ein guter Schnitt.
Aber doch nicht nonstop?
Nein,
zwischendurch bin ich auch gegangen. Die Teilnehmer haben 60 Stunden
Zeit, danach werden sie nicht mehr gewertet. Ich habe 57 Stunden
gebraucht.
Wie war Ihre Strategie?
Eine Nacht sind wir
durchgelaufen. Um sechs Uhr morgens haben wir ein Hotel erreicht, dort
haben wir geduscht und zwei, drei Stunden lang geschlafen. Anschließend
ging’s weiter.
Ihr Schutz gegen die sengende Sonne im Death Valley?
Nasse
Handtücher auf den Kopf. Dort werden bis zu 57 Grad im Schatten
gemessen, und »Schatten« ist ein Witz, »Schatten« gibt es ja praktisch
nicht.
Unterwegs mal an Aufgabe gedacht?
Klar, ab und zu
fragt man sich: Was mache ich hier eigentlich? Aber solche Durchhänger
werden rasch wieder von Hochgefühl abgelöst: Wahnsinn, dass mein Körper
funktioniert!
Der Marathonweltrekord der Frauen ist 2003 von
Paula Radcliffe in London mit 2 Stunden 15 Minuten und 25 Sekunden
aufgestellt worden. Was würden Sie sich zutrauen?
Wenn ich richtig gut trainiere vier Stunden plus oder minus fünf Minuten. Also keine Aussicht auf eine Olympiamedaille.
Und Sie haben auch nie davon geträumt, mal bei den Olympischen Sommerspielen zu starten?
Nein,
nie im Leben! Dafür bin ich viel zu langsam. Und ein Marathon wäre mir
auch zu langweilig, da passiert ja nix, kein Abenteuer, keine spannenden
Trails, bloß Asphalt.
Sollte denn neben dem klassischen Marathon ein Ultramarathon ins Olympiaprogramm?
Das
wäre bestimmt interessant. Zumal wir Menschen - betrachtet vom
Standpunkt der Entwicklungsgeschichte - Ausdauerjäger sind. Warum nicht
auch 100 Kilometer Ultramarathon? Nur ob die elektronischen Medien das
für Zuschauer und Hörer auch spannend aufbereiten können, ist wohl
fraglich.
Viele Menschen laufen, weil sie ihre Fitness
verbessern möchten. Ist das eine Option für Spätberufene aus der
Generation 50 plus?
Selbstverständlich! Unlängst habe ich zusammen
mit der Marathonabteilung des FC St. Pauli einen Einsteigerlaufkurs
organisiert, und der älteste Teilnehmer war 60 Jahre alt. Der Körper ist
auch im vorgerückten Alter dazu fähig umzusteuern.
Neben Sport engagieren Sie sich gegen den Neofaschismus.
Am
Vorabend des Naziaufmarsches Anfang Juni 2012 in Hamburg hatte besagte
FC St. Pauli-Marathon-Abteilung zu einem Lauf um die Alster - und zwar
links rum, versteht sich! - aufgerufen, und ich war im Helferteam dabei.
Gegen eine Spende von mindestens einem Euro wurden symbolische
Startnummern vergeben, und die gesammelten Spenden haben wir an das
Bündnis gegen Rechts überwiesen.
Welch wunderbare Ironie: Der Klischee-Nazi ist eher stiernackig und hat Bierbauch - und wird vorgeführt von drahtigen Linken
Bewegung fördert die Kognition, will sagen: die Fähigkeit zu denken, und das ist nix für Nazis.
Gespräch: René Gralla
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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