Sehnsucht nach der blonden Bestie

MEDIENgedanken: Verharmlosung der »Hells-Angels« - Homestorys statt kritische Berichterstattung

  • Karl Atem
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein mächtiger Mann mit mächtiger Brust und festem Blick sitzt am Tisch seines Hauses. Seine pfannengroßen Pranken arbeiten ohne Unterlass. Mit dem Daumen falzt er Kronkorken als ob sie Papier wären. Es geht um den Chef der »Hells Angels« Frank Hanebuth, nachzulesen in einem in der FAZ erschienenen Artikel. Im Kontrast dazu steht in dem Text die Polizeieinheit, die in Hanebuths Haus eindringt. Diese Einsatzgruppe fällt vermummt und brutal in die Idylle ein, demütigt den Ober-Rocker, verängstigt ein Kind, tötet den Hund. Hanebuth sorgt sich dabei natürlich nur um Frau, Kind und Hund, nicht um sich, denn er ist so hart, dass er sogar seine Schweißproduktion kontrollieren kann: Im Hochsommer trägt er dickes Fleece, und dennoch ist kein Tropfen auf seiner steinernen Stirn zu sehen. Selbst das Foto, auf dem Hanebuth abgebildet ist, ist mit metallgrauem Filter so digital nachbearbeitet, dass er noch härter, noch stählerner dreinblickt. Fast bekommt man den Eindruck, der Berichtende hätte sich in Hanebuth verliebt, so wie er von seinen Händen und Augen und Schultern und seiner Stärke schwärmt. Auch Hanebuths Männer und deren Bund werden euphorisch beschrieben; allesamt seien sie groß und stark wie Stiere, aber bedingungslos loyal. Wie ein stolzer Wikingerstamm.

Andere Artikel in anderen Zeitungen sind ganz ähnlich: verständnisvoll, zum Teil bewundernd, die Verbrechen und Grausamkeiten der »Hells Angels« nur erwähnend, wenn sie sich edlerweise gegen Ebenbürtige richten. Texte über Rockerhochzeiten werden betitelt mit »Wir wollen doch nur feiern«. Feten, auf denen sogar Keith Richards von den »Rolling Stones« auftaucht, müssen, so die Botschaft, doch harmlos sein. Es wirkt wie Hofberichterstattung. Die »Bild«-Zeitung nennt Hanebuth »den Kiezkönig«, besucht ihn zu Hause, wo es Erdbeerkuchen gibt, und zwar mit Sahne. Dort erzählt er von seinem Glauben an Gott, und von den Werten des Respekts, der Ehrlichkeit und der Treue.

Viele mögen die »Hells Angels«. Bei »Spiegel Online« liest man wohlwollende Leser-Kommentare über »die Angels« oder sogar wütende Verteidigungen wie: »Sollen sie doch mal nach den Leichen in den Kellern der Politiker graben!«, oder »Lasst die Jungs doch einfach in Ruhe!«.

Die Leichen in den Kellern der »Hells Angels« sind aber nicht metaphorisch, wie es bei den meisten Politikern der Fall ist, sondern echt. Regelmäßig werden Mitglieder der »Hells Angels« brutaler Verbrechen angeklagt und verurteilt. In mehreren Ländern wurde die Gang verboten, was bedeutet, dass es Gerichte gibt, die es für erwiesen halten, dass die Gruppe selbst gefährlich ist und nicht nur einzelne. Wenn es stimmt, was Aussteiger und Ankläger sagen, sind Anführer der »Hells-Angels« brutale, gewissenlose, selbstsüchtige Menschen. Sie sind keine edlen Wilden, die Banken ausrauben und das Geld unter den Armen verteilen. Nein, hier geht es um Menschen, die ihr Haus, ihre Limousine, ihre in der Sonne glänzende Harley finanzieren, indem sie Frauen in Notsituationen ausbeuten und zur Prostitution zwingen. Menschen, die nicht spuren, müssen um ihr Leben fürchten. Im Falle eines Brandenburger Polizisten sogar dessen Familie. Angeblich brüsten »Angels« sich sogar mit Abzeichen und Tätowierungen, die zeigen, dass sie getötet haben.

Warum, also, bewundern manche die »Hells Angels« und vor allem: warum gibt es nicht wenige Journalisten, die dem Charme der »Rocker« verfallen sind? Man könnte küchenpsychologisch vermuten, dass jemand, der riesige, ungebändigte, rücksichtslose und starke Männer bewundert, vielleicht gerne selbst so wäre. Vielleicht weil er sich klein, gegängelt und domestiziert fühlt. Das ungeheuer treffende Bild der blonden Bestie schaffte Friedrich Nietzsche. Über den Philosophen wird gesagt, er habe sich klein und schwach gefühlt, unterdrückt durch seine Schwester und seine Mutter. Nietzsche bewunderte die blonden Bestien, die Löwen unter den Männern, unberührt von kleingeistigen Zweifeln, Ängsten und sozialem Zwang - solidarisch nur untereinander, rücksichts- und gedankenlos nach außen!

Solche Gefühle darf man haben, genau wie man auch harte Männer sexy finden darf. Aber man sollte es vermeiden, ein bizarr verzerrtes Bild einer Bruderschaft von stolzen, starken, freien Männern auf Motorrädern zu zeichnen, die, stimmen die Vorwürfe - man muss vorsichtig formulieren: die Anwälte der »Angels« gelten als extrem aggressiv - nicht bewundernswert sind.

Der Autor ist freier Autor und Mitbetreiber des Gemeinschaftsblogs Schwarzerschmetterling.org.

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