Mali steckt in der Zerreißprobe

ECOWAS verlängert Frist zur Regierungsbildung / Faktisch ist das Land in Nord und Süd gespalten

Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS hat den politischen Kräften in Mali weitere zehn Tage Zeit eingeräumt, um eine Einheitsregierung zu bilden. Seit dem Militärputsch im März driftet das Land mehr und mehr ins Chaos.

nVom Tisch ist sie nicht: eine Militärintervention der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS in Mali. ECOWAS ist wie die in Bamako im Süden sitzende Regierung darauf bedacht, die territoriale Integrität des Landes wiederherzustellen und den Norden wieder zurückzuholen, der sich im April für unabhängig erklärt hatte.

Unmittelbar steht indes keine Militärintervention im Norden bevor, wie sie im am Dienstagabend abgelaufenen Ultimatum der ECOWAS potenziell enthalten war. Denn kurz vor Ablauf rang sich die ECOWAS dazu durch, die Frist um zehn Tage zu verlängern. In diesen zehn Tagen soll das geschafft werden, worum sich die politischen Kräfte in Bamako seit dem Putsch am 22. März vergeblich bemühen: die Verabschiedung eines Fahrplans zur schnellen Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit«. Diese soll alle politischen Kräfte im Land repräsentieren und das Chaos unter Kontrolle bringen, in das Mali nach einem Militärputsch im März geschlittert ist.

Derweil befindet sich Übergangspräsident Dioncounda Traoré im Clinch mit Ministerpräsident Cheick Modibo Diarra. Diarra scheiterte bisher mit der Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit«, weshalb Traoré am Sonntag in einer Fernsehansprache vorgeschlagen hatte, die Übergangsregierung bis zu Neuwahlen zu leiten. Traoré war erst vor wenigen Tagen nach Mali zurückgekehrt, nachdem er im Mai von Demonstranten angegriffen und seitdem in Paris behandelt worden war.

Faktisch ist Diarra bereits entmachtet, denn Traoré verfügte, dass der Hohe Staatsrat, dem er selbst vorsteht und den er mit zwei Stellvertretern leitet, fortan direkt für die innere Sicherheit, die Verteidigung und eine Strategie im Umgang mit den den Norden okkupierenden Islamisten zuständig ist.

In die Bemühungen um ein Ende der Krise in Mali hat sich jetzt auch der Hohe Islamische Rat des westafrikanischen Landes eingeschaltet. Vertreter des Rates, der die Mehrheit der Muslime in Mali repräsentiert, seien in den von radikalen Islamisten beherrschten Norden gereist, um die dortigen Machthaber zum Rückzug zu bewegen, sagte Ibrahim Kontao, eines der führenden Mitglieder des Rates, am Dienstag. »Wir sind alle Brüder. Der Norden und der Süden dürfen nicht getrennt werden.«

Im Norden hatten kurz nach dem Putsch islamische Rebellen und Tuareg-Kämpfer die Macht übernommen. Die säkulare Tuareg-Bewegung MNLA rief am 6. April den unabhängigen Staat Azawad aus. Inzwischen hat die MNLA aber Boden verloren und ist gegen die islamischen Gruppierungen Ansar Dine, Aqmi und Mujao ins Hintertreffen geraten, schildert der Tuaregexperte Georg Klute gegenüber »nd« die jüngste Entwicklung. Die MNLA habe zwei große Fehler gemacht, so der Ethnologieprofessor an der Universität Bayreuth: Zum einen hätte sie mit der Betonung des Säkularen die muslimische Bevölkerung verstimmt, die das als anti-religiös und anti-islamisch interpretierte, und zum anderen hätten MNLA-Einheiten Plünderungen und Raubzüge veranstaltet, die sie in Misskredit gebracht hätten. Mehr Rückhalt genieße die von dem Tuareg Iyad Ag Ghaly angeführte Ansar Dine, die als diszipliniert gilt und bisher nicht mit Übergriffen in Verbindung gebracht wird.

Der Weg zu neuer Stabilität ist für Mali weit. Allein der Norden sei faktisch dreigeteilt, Ansar al-Dine kontrolliere Kidal, die von Mauretaniern dominierte Mujao die Stadt Gao und der von Algeriern beherrschte Al-Qaida-Ableger Aqmi Timbuktu, schildert Klute die aktuelle Lage. Alle drei bekämen Unterstützung von der arabischen Halbinsel. Wie die ECOWAS hält er eine »Regierung der nationalen Einheit« für eine unabdingbare Voraussetzung, um die territoriale Integrität des Gesamtstaates wiederherzustellen. Dafür bedürfe es Verhandlungen mit dem Norden. Allerdings hätten die Dschihadisten von Mujao und Aqmi keinerlei Interesse an Mali, sondern nur an der globalen Ausbreitung des Islam. Potenziell könnte eine föderale Lösung mit weitgehenden Autonomierechten bis hin zur Scharia im Norden einen Ausweg darstellen, meint Klute. Faktisch befindet sich Mali derweil noch mitten in der Zerreißprobe.

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