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Mein Leben - wie musste es sein?
Volker Braun sprach in »Das ungezwungene Leben Kasts« Bedrückungen an, die viele hatten
Wie oft habe ich nach der Wende in der Presse lesen müssen, die DDR-Literatur sei angepasst gewesen. Hatte mir nicht schon beim PEN-Weltkongress 1986 in New York Mario Vargas Llosa vorgeworfen, ich repräsentiere eine Vereinigung von Hofschranzen? Was ich ihm entgegenhielt, traf auf taube Ohren. »Der geteilte Himmel«, »Ole Bienkopp«, »Spur der Steine«, »Rummelplatz« ... Wovon redete ich? Und als mir heute beim Ordnen meiner Bücherregale Volker Brauns Erzählungen vom »Ungezwungenen Leben Kasts«· in die Hände kam und ich darin zu lesen begann, wünschte ich, Vargas Llosa auch dieses Buch genannt zu haben. Es steht in der Reihe mit den anderen.
Es packt gleich zu: »... früh fuhr ich mit dem Bus nach Norden. Die Sonne warm auf den Feldern, der Himmel hell, leuchtend, der Asphalt blank in das Land hin, das alles ging mich nichts an ... « Sofort erinnere ich mich, was den jungen Hans Kast bewegte, dorthin und nirgends sonst zu gehen. Nicht bloß des schnellen Geldes wegen war er bereit, im Schlamm zu schuften. Er suchte den Sinn des Lebens. »Mein Leben, das ich beginnen wollte, wie musste es sein?« Später wird er erleben, wie ein alter Genosse versucht, einem Arbeiter den Sozialismus nah zu bringen: »... da kannst du die krummen Stäbe nicht liegen lassen, zieh sie durch und hämmere. Das macht keine drei Prozent weniger. Aber das macht: besser leben.« Und er hörte auch, dass der Arbeiter vehement widerspricht. Ab dann aber wird der Haufen krummer Stäbe nicht größer.
Sind das die kleinen Erfolge, an die man glauben darf?, fragte sich Kast und dachte zugleich: »Wir besitzen alles, aber alles geht noch langsam, träg, von unten her, aus dem Schlamm! Wie lange geht das so? Wie lange noch wird vieles wie fremder Besitz behandelt: auch das Leben.« Angepasste Literatur?
Beteiligt sein und kritisch bleiben - diese Haltung zieht sich quer durchs Buch. Da werden Hans Kast und Susanne, zwei innig Liebende, empfindlich in ihrer Zweisamkeit gestört, liegen starr bei einander in der Nacht, ohne sich zu berühren, während vor ihrem inneren Auge, in einer Wolke Staub, Panzer auf die Grenze zu rollen, um den Prager Frühling, der auch ihr Frühling ist, zu ersticken.
Wer in jener Zeit so schreibt, hatte auch nach der Drucklegung, mit Konsequenzen zu rechnen. Hofschranzen schreiben nie so, schreiben nicht, wie es Volker Braun in der Erzählung »Die Tribüne« tut, von den Einen und den Anderen, von der Kluft zwischen denen da oben und denen da unten, auch würden sie eine Demonstration des 7. Oktober sehr anders als Braun darstellen: »Und ich blieb angenagelt an meinem Platz und blickte auf die Menge, die unverdrossen marschierte. Und dachte nicht mehr daran wegzugehen, denn jetzt schien mir wichtig, dass sie uns hier sitzen sähen, uns, ihre Funktionäre. Diese Tribüne, unsere Tribüne. auf der wir thronten und vor der sie vorbeizogen, musste ihnen zeigen, wie wir miteinander stehen.«
Kasts offene Worte sind nicht im Nachhinein, sondern in der Gegenwart gesprochen, im präzisen Jetzt und Hier. In der DDR der sechziger Jahre. Und dass der stets kritisch beteiligte Hans Kast am Ende sich in seinem Auto zu Tode fährt, schreibt Braun keinem Unfall zu, sondern Erfahrungen, die den Mann zermürbten. »In der Fabrik gedachte man seiner in einer Versammlung. Susanne lag mit schwerem Fieber nieder. In der Zeitung stand die übliche Notiz.«
Wäre mir damals in New York doch auch dieses Buch in den Sinn gekommen!
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