Mildernde Umstände
Die deutsche Nationalmannschaft kann trotz der Niederlage gegen Argentinien optimistisch nach vorn blicken
Lionel Messi war am Mittwochabend Fluch und Segen zugleich für die deutsche Nationalmannschaft. Einerseits setzte der Weltfußballer den Gastgebern in Frankfurt am Main derart zu, dass die Argentinier nach einer sehenswerten Partie mit 3:1 (1:0) den Platz als Sieger verließen. Andererseits spielte sich Messi mit seinen unnachahmlichen Dribblings, ansatzlosen Pässen und einigen torgefährlichen Szenen derart in den Mittelpunkt, dass die Diskussionen um die Mannschaft von Joachim Löw und den Bundestrainer selbst nichts mehr von der Schärfe wie nach dem Halbfinalaus bei der EM gegen Italien haben.
Dabei hatte Löw den Kritikern mit seiner Grundsatzrede vom Montag noch die ein oder andere Vorlage gegeben. Dass das Spiel gegen Argentinien jedoch nicht zum erhofften positiven Neustart geworden ist, lag weniger am Bundestrainer. Nach dem Platzverweis für den Hannoveraner Torwart Ron-Robert Zieler, der erste für einen deutschen Schlussmann in der 104-jährigen Länderspielgeschichte, musste die DFB-Elf eine Stunde lang in Unterzahl agieren. Zudem fiel Abwehrchef Mats Hummels nach einem Zusammenprall schon nach 25 Minuten aus. Bis dahin war Löw ob »vieler Ballgewinne und Chancen« sogar »sehr zufrieden«.
In numerischer Überzahl und einem immer stärker werdenden Messi rissen die Argentinier das Spiel an sich. Weil die DFB-Elf fortan mehr läuferische Arbeit darauf verwenden musste, die Räume für den Gegner nicht allzu groß werden zu lassen, verlor sie die Spielkontrolle. Am Ende brachten es die Argentinier auf 58 Prozent Ballbesitz. Für die Führung benötigten sie noch ein Eigentor von Sami Khedira in der Nachspielzeit der ersten Hälfte. Das zwischenzeitliche 3:0 schossen Messi (52.) nach einer schönen Kombination über Sergio Agüero und Gonzalo Higuain sowie Angel di Maria (73.) aus gut 30 Metern heraus.
Auch war es wieder zum Teil Messi zu verdanken, dass die 48 000 Zuschauer in der ausverkauften Frankfurter Arena die DFB-Elf trotz des Rückstands nicht verteufelten. Gefesselt vom Auftritt des Spielers vom FC Barcelona, warteten alle auf die nächste beeindruckende Aktion. War Messi am Ball, hielt das Stadion die Luft an. Hatte er wieder einmal den Gegner schwindlig gespielt, ging ein Raunen durchs Rund. Das Publikum rechnete die Überlegenheit des 1,69 Meter kleinen Argentiniers der eigenen Mannschaft als mildernden Umstand an.
Doch auch der stete Wille der deutschen Nationalelf, um ein besseres Ergebnis zu kämpfen und die Art und Weise wie sie es tat, ließ die Unterstützung der Zuschauer nie abbrechen - schnelles Umschalten, direktes Passspiel, Zug zum Tor. Die Statistik wies am Ende elf Torschüsse auf, die Argentinier hatten nur zwei mehr. Der Anschlusstreffer durch den Flugkopfball von Benedikt Höwedes (81.) nach schöner Vorarbeit des eingewechselten Mario Götze war dann auch Belohnung für Spieler und Fans gleichermaßen.
Für alle, die nach der Niederlage gegen Italien Grundsätzliches infrage gestellt hatten, ließe sich allein aus der mangelnden Chancenverwertung ein roter Faden von der Europameisterschaft weiterspinnen. Doch da lag der Fehler allein in der taktischen Ausrichtung und Aufstellung im EM-Halbfinale. Auch wenn Joachim Löw am Montag kein Wort darüber verlieren wollte: der Blick auf die Formation der Mannschaft gegen Argentinien zeigte, dass er vielleicht daraus gelernt hat. Kein Sonderbewacher für Lionel Messi, Vertrauen in die eigenen Stärken.
Damit und dem großen Potenzial an jungen talentierten Spielern wie dem gegen Argentinien sehr überzeugenden Marco Reus, Lars Bender oder Götze, deren Zukunft im DFB-Team erst jetzt richtig beginnt, kann die WM-Qualifikation optimistisch angegangen werden. Die ersten Gegner sind die Färöer Inseln am 7. September in Hannover und Österreich vier Tage später in Wien. Und einen Messi hat keines der beiden Teams.
Deutschland: Zieler- Boateng, Hummels (25. Höwedes), Badstuber, Schmelzer - Lars Bender (74. Götze), Khedira (68. Gündogan) - Müller (32. ter Stegen), Özil (68. Kroos), Reus - Klose (62. Schürrle).
Argentinien: Romero - Zabaleta (65. Campagnaro), Fernandez, Garay, Rojo - Mascherano (79. Brana), Gago - Sosa (46. Agüero), di Maria (73. Guinazu) - Messi, Higuain.
Tore: 0:1 Khedira (45.+1, Eigentor), 0:2 Messi (52.), 0:3 di Maria (73.), 1:3 Höwedes (81.). Rot: Zieler nach einer Notbremse (30.). Zuschauer: 48 808 (ausverkauft).
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