Von Parsifall zu Parsifall

Goethe hielt nicht viel von Wagner - so hieß der Famulus in »Faust«. Heute enden Bayreuths Wagner-Festspiele. Gemeint ist Richard, nicht der Famulus

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

So richtig spannend wird es auf dem Grünen Hügel in Bayreuth erst im nächsten Jahr. Dann, zum 200. Geburtstag Richard Wagners, wird Frank Castorf hier einen neuen »Ring des Nibelungen« inszenieren. Ganz unvorbereitet wird seine Ästhetik die Wagner-Gemeinde aus aller Welt aber nicht treffen. Denn Christoph Marthalers ausgestellt trister »Tristan«, der surreale Laborratten-»Lohengrin« von Hans Neuenfels, Sebastian Baumgartens Sängerkrieg in der wuchtigen Biogasanlage und selbst Jan Philip Glogers eher zaghafter neuer »Holländer« haben auf das vorbereitet, was da 2013 vermutlich all die Götter, Nibelungen und Gibichungen durcheinanderwirbeln und an den Küsten der Gegenwart anspülen wird.

Im seinem fünften und damit letzten Jahr stand auch noch einmal Stefan Herheims »Parsifal« auf dem Programm. Er fiel etwas aus dem Rahmen dieser gegenwärtigen Bayreuth-Ästhetik. Denn der norwegische Regisseur hat seine ganze Fähigkeit zu faszinierendem Bildertheater darauf verwendet, die Geschichte Deutschlands, Bayreuths und des Stückes miteinander zu verflechten - bis hin zu den Hakenkreuzfahnen vor der Villa Wahnfried, die das dunkelste Kapitel der Festspiele und der Familie Wagner auf den Punkt der Selbsterkenntnis bringen.

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird in diesem Jahr unter den Augen von Arno Brekers Wagner-Büste durch die Ausstellung »Verstummte Stimmen« (verlängert bis Ende 2013) wissenschaftlich untermauert - anhand von Lebensläufen jüdischer Künstler, die aus Bayreuth vertrieben worden waren. Wie virulent die braune Vergangenheit in Bayreuth anno 2012 noch ist, wurde indessen unvermittelt deutlich, als die Nazi-Tattoos des russischen Bassbaritons Evgeni Nikitin bekannt wurden, dem offenbar nicht klar war, dass das in Bayreuth ein Sprengsatz ist. So wurde aus dem hier eigentlich geplanten ersten russischen »Fliegenden Holländer« unversehens ein aus Bayreuth fliehender Russe - nicht, ohne merkwürdige Kommentare des Feuilletons und seltsame Erklärungsversuche im »Spiegel« zu hinterlassen.

Nach diesen Turbulenzen kamen die aktuellen Festspiele jedoch schnell zu sich. In ihrem Kerngeschäft konnten sie sich auf das Haus, auf die fabelhafte Technik, vor allem auf das Festspielorchester verlassen, zu dem sich Musiker aus den besten Orchestern Deutschlands im Dienst an Wagners Musik alljährlich im verdeckten Bayreuther Graben zusammenfinden. Gegen die aktuelle Dirigenten-Crew lässt sich wirklich nichts einwenden. Neben dem grundsoliden Peter Schneider (»Tristan und Isolde«) stand naturgemäß Christian Thielemann, der künstlerisch einflussreichste Dirigent an der Seite der Wagner-Schwestern Eva und Katharina, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Beim neuen »Holländer« sorgte der designierte Chef der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit vollen Segeln für musikalische Fahrt. Damit nicht genug, übernahm er obendrein von Thomas Hengelbrock den Taktstock beim »Tannhäuser« - mit Bravour. Regisseur Sebastian Baumgarten hat indessen an seiner zwar durchdachten, aber sich bislang etwas gegen die theatralische Umsetzung sperrenden Deutung weiter gearbeitet. Spürbare Verbesserung brachten jedoch vor allem die neue Venus Michelle Breedt und der neue Tannhäuser Torsten Kerl, während Michael Nagy als Wolfram von der ursprünglichen Mannschaft wiederum am nachhaltigsten überzeugte.

Musikalisch ist auch der »Lohengrin« wegen des Dirigenten Andris Nelsons, besonders aber dank seines Titelhelden-Tenors Klaus Florian Vogt, ein musikalischer Hochgenuss. Vogt, der als Schwanenritter auch an der Deutschen und an der Staatsoper Berlin versuchte, der bedrängten Elsa zu helfen, ist in dieser Rolle derzeit nicht zu schlagen. Selbst wenn man Annette Dasch nicht für die weltbeste Elsa halten muss, so hat sie doch ganz erstaunlich zugelegt und gehört auf die vokale Habenseite dieses Festspieljahrgangs.

Auch der am 11. August in über einhundert Kinos und ins Fernsehen live übertragene »Parsifal« verfügt über die Sängerqualitäten, die man hier erwarten darf. Dabei kann man auf die unerschütterliche Erzählkraft des Gurnemanz Kwangchul Youn ebenso vertrauen wie auf die imponierende Kondition und Strahlkraft des Parsifals von Burkhard Fritz.

Zu den unspektakulären, aber zukunftsträchtigen Neuerungen gehört das Bayreuth-Debüt, das Dirigent Philippe Jordan mit der Übernahme des letzten Herheim-»Parsifals«-Jahrgangs gab. Der Schweizer ist seit drei Jahren Chef des Pariser Opernorchesters, wird 2014 die Wiener Symphoniker übernehmen, hat sich mit einem eigenen »Ring« in Paris als Wagner-Kenner profiliert und dürfte nach seiner »Parsifal«-Serie wohl künftig wieder im Bayreuther Graben auftauchen.

Der andere - vom Tattoo-Aufruhr etwas überlagerte - Planungs-Coup für die Zukunft ist die Nominierung von Jonathan Meese als Regisseur des nächsten »Parsifal«. Ein Hauch von Volksbühnen-Provokation scheint über der Zukunft des Grünen Hügels zu liegen. Auch wenn man gegen jede einzelne Entscheidung nichts sagen kann, konzentriert man sich (von Neuenfels über Baumgarten bis zu Castorf, von Katharina Wagner bis Jonathan Meese) damit doch etwas einseitig auf Namen, die für das deutsche Regietheater stehen. Wäre es nicht höchste Zeit, auch mal wieder eine nichtdeutsche Sicht auf die Werke Richard Wagners werfen zu lassen, dieses deutschen Komponisten par excellence?

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