Vom Barcamp zur Flauschcon

Piraten dümpeln in Richtung Bundestag

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Jahr vor der Wahl bereiten sich 150 Piraten auf einem bundesweiten »Barcamp« in Essen auf ihren möglichen Einzug in den Bundestag vor. Allzu hohe Erwartungen an Transparenz und Basisdemokratie werden bereits zurückgeschraubt.

Sie waren angetreten, alles anders zu machen - zumindest der Form nach. Mehr Transparenz, mehr Basisdemokratie, mehr Partizipation per Computer, forderten die Piraten. Mittlerweile sitzen sie in vier Landtagen, bereiten sich auf den Einzug in den Bundestag vor und planen schon die Arbeit der künftigen Fraktion. Doch von den »Idealen« scheint nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Das wurde auf einem »Barcamp« deutlich, zu dem sich am Wochenende zwölf Dutzend Piraten im Essener »Unperfekthaus« versammelten.

Ein Barcamp ist eine »Unkonferenz«: Ohne Delegierte, Leitanträge und ohne Tagesordnung legt man los. Dabei gehe es nicht um ein Kandidaten-Casting, sondern darum, wie »piratige Werte sich durchsetzen in einer künftigen Fraktion«, sagt Johannes Ponader, der umstrittene (und auf Spendenbasis entlohnte) politische Bundesgeschäftsführer. Ergebnisse müssten in Essen nicht produziert werden: »Macht Denk- und Diskussionsräume auf, respektiert die unterschiedlichen Meinungen, dokumentiert die offenen Fragen!«, fordert Ponader.

Parteipromis wie der nordrhein-westfälische Fraktionschef Joachim Paul, sein Berliner Amtskollege Christopher Lauer und ihr saarländisches Pendant Michael Hilberer zogen eine nüchterne Bilanz der bisherigen Parlamentsarbeit: Alles gehe rasend schnell, groß seien die Papierstapel, weswegen eine regelmäßige Einbindung der Basis kaum möglich sei. Auch brauche es gewisse Hierarchien und Arbeitsteilung, ansonsten könne man im Parlamentsbetrieb nicht bestehen, stellten die drei Parlamentarier unisono fest.

Und die Transparenz? »Soll ich den ganzen Tag lang vermitteln was ich tue oder soll ich unser Programm in Anträge packen«, so lautet Lauers Frage. Und wenn er morgens um 9 Uhr im Parlament sein müsse, könne er nicht bis spätabends auf Basis-Stammtischen sitzen.

Ein in die Jahre gekommener ehemaliger Bezirksvertreter der Alternativen Liste Berlin warnt vor alten Fehlern: In den 1980er-Jahren habe sich die AL-Fraktion in Berlin »verselbstständigt«, weil die Basis keine Kontrolle ausgeübt habe. Christopher Lauer kontert: Heute verfügten die Piraten über das Beteiligungstool Liquid Feedback, wo jedermann konkrete Verbesserungsvorschläge machen könne, von denen die besten übernommen würden.

Die Kernwählerschaft der Piraten liege bei drei Prozent, analysierte unlängst der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung. Der zeitweilige Erfolg basiere vor allem auf Protest und dem Charakter des Neuem. Aber: »Wir verzeichnen derzeit einen deutlichen Rückgang...«

Der Ort des »Barcamps« immerhin war gut gewählt: Im »Unperfekthaus« herrscht, wie bei Piratens, wuseliges Chaos und überbordende Fantasie. Doch nicht jede kreative Idee bewährt sich. So lässt das »Erlebnisklo« Männer nicht zu Kunstliebhabern mutieren, sondern zu Sitzpinklern. Lediglich Hartgesottene lenken ihren Strahl auf die Alu-Pinkelwand mit der verankerten Videoinstallation.

Am nächsten Wochenende treffen sich die Piraten in Bielefeld zu einer »Flauschcon«. Dort wollen sie den sachlichen und freundlichen Umgang miteinander lernen.

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