Bei Eisler

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

In der DDR mit Eislers Liedern groß geworden, hörte ich 1959 zum ersten Mal die »Deutsche Sinfonie«, ein oratorisches Werk für Chor, Soli und Orchester, das erst Jahrzehnte nach seiner Fertigstellung in der Berliner Staatsoper uraufgeführt wurde. Ich war zutiefst beeindruckt und schrieb einen enthusiastischen Artikel für die Studentenzeitschrift »forum«. Ein Redakteur erklärte mir, dass man das nicht drucken könne. Es ging um die von Eisler verwendete Zwölftontechnik, die in der damaligen »Formalismus-Debatte« als »bürgerlich« abgelehnt wurde. Das leuchtete mir nicht ein, ich rief Eisler an.

Nach wenigen Tagen empfing er mich in seinem Haus. Als er hörte, ich sei Physik-Student, begann er zu meiner Verblüffung sogleich eine Diskussion über Quantenmechanik mit mir. Erst ganz zum Schluss kam er auf meinen Artikel zurück, den er sich aber nur referieren ließ. Mein Satz »Die Form eines Kunstwerks ist stets die Form des Inhalts« gefiel ihm. Das wüssten unsere Musikkritiker noch gar nicht, meinte er. Doch direkte Hilfe gewährte er nicht. Wenn der Redakteur eine Einzelperson sei und keine Massenorganisation, dann müsse ich durchsetzen, dass der Artikel erscheint. Beim Abschied rief mir Eisler hinterher: »Kommen Sie wieder! Ich bin ein alter Komponist und brauche die Jugend«.

Fortan hatte ich das große Glück, Dutzende Male bei ihm zu Gast zu sein und von seiner geistreichen Vitalität, außerordentlichen Bildung und dem enormen Erfahrungsschatz seines Lebens zu profitieren. Auch zu mehreren Tonbandaufzeichnungen konnte ich ihn überreden, die dann auf Studentenveranstaltungen in der Humboldt-Uni vorgespielt wurden. Dabei kamen auch viele seiner noch weitgehend unbekannten kammermusikalischen Werke zu Gehör, dank Eislers Unterstützung bei der Beschaffung der Tonbänder: »50 Studenten sind mir ebenso wichtig wie die Staatsaufführung eines meiner Werke«.

Dass ich mir während unserer Gespräche verstohlen Notizen machte, bemerkte Eisler rasch und bald begrüßte er mich mit den Worten »Ach, da kommt ja mein Eckermann«. Nach seinem Tode entstand aus diesen Notizen mit Unterstützung von Steffy Eisler, seiner Witwe, ein Manuskript, das Eisler mosaikartig in all seiner Schlagfertigkeit und politischen Weitsicht lebendig werden lässt. Doch dieses Bild des Komponisten der Nationalhymne passte wieder nicht »ins Konzept« und so gelang es auch nach Jahren nicht, die Texte herauszubringen. Erst unlängst ist das Büchlein erschienen.

Eines Tages fragte ich Eisler, ob er am Vortag im Radio das Schönberg-Konzert gehört habe, selten gespielte Werke seines verehrten Lehrers. Als Eisler vernahm, das sei um 20 Uhr gewesen, meinte er nur: » Da höre ich immer die Nachrichten. Die sind mir im Moment wichtiger.« Ja, Eisler war ein durch und durch politischer Komponist und er fühlte sich sogar geehrt, wenn man ihn so nannte: »Politisches Denken ist nichts anderes als das echte Bewusstsein des Menschen über seine Lage. Das finden Sie hoffentlich in meiner Musik. Wenn nicht, würde ich mir die gröbsten Vorwürfe machen«

Eislers Musik hat das erste halbe Jahrhundert nach seinem Tod überdauert und manches seiner Werke ist heute leider aktueller, als einem lieb sein kann.

Dieter B. Herrmann: Ich bin mit jedem Lob einverstanden. Hanns Eisler im Gespräch 1960-1962. Salier-Verlag Leipzig und Hildburghausen, 16,90 €.

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