LINKS
Vor Tagen veröffentlichte Oskar Lafontaine in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« einen Essay zur Frage, warum linke Ideen sehr oft recht haben, aber im Betriebsfluss der Politik so selten recht bekommen, woher demnach der Umstand rührt, dass die Linke produktive Vorschläge zur Verbesserung der Gesellschaft präsentiert, aber fortwährend unterlaufen wird von Techniken der Arroganz.
Der Text benutzt auf gelingende Weise die allgemeine, grobe Kennung Links so, dass sich unterschwellig, unausgesprochen, aber unweigerlich auch Assoziationen zur LINKEN ergeben, und so darf wohl gesagt werden: Lafontaine führt viele wahre Gründe an, warum der Linkspartei im öffentlichen Konfliktstreit der nötige Respekt verweigert wird - es sind stichhaltige Schuldzuweisungen in Richtung einer manipulativ gesteuerten Herrschaft des Kapitals, das Sein und Bewusstsein der Gesellschaft panzerstark besetzt und kontrolliert.
Es findet sich im Aufsatz freilich kein Verweis auf Probleme, die auf die Beschwerde führende Stimme selbst zurückzuführen wären. Kritik wird ausgeteilt, nicht geteilt. Keine Frage: So würde das jeder Politiker jeder anderen Partei ebenfalls tun. Immer die anderen! Immer die Verachtensstruktur der Übrigen! Möglicherweise liegt genau hier ein Grund, warum linke Politik - ausgerechnet in Krisenzeiten, die doch zu schreien scheinen nach radikalem Einspruch - es so schwer hat.
Denn: Man ist zwar links, im Grunde jedoch nicht anders als andere. Man feilscht in der Partei, man reibt sich personell gern auf, man palavert, man ringt um Pfründe, man kämpft um Macht, man betont Bevölkerungsnähe und ist mitunter weit entfernt. Man ist nach Kräften alternativ - innerhalb einer Fabrik für Mehrheitswerbung, die man oft genug ablehnt, aber doch dringend benötigt, um Ablehnung überhaupt betreiben zu können.
Es ist verflucht schwer, am entschiedensten gegen den Kapitalismus zu sein, wenn man doch grundlegend an ihm partizipiert. Es ist verflucht schwer, irgendwo drin und gleichzeitig darauf bedacht zu sein, draußen zu bleiben. Es ist verflucht schwer, prinzipiell gegen eine interessengesteuerte Mediengesellschaft zu argumentieren und zugleich darauf zu pochen, in gerechten Anteilen in ihr vorzukommen. Es ist verflucht schwer, Volk zu erreichen, wo nurmehr Publikum ist. Verflucht schwer, sich nicht anzupassen, aber zugleich demokratisch sein zu wollen, und demokratisch zu sein bedeutet zuallererst: Anerkennung der Tatsache, dass Politik auf ständiger Suche nach möglichst populärer Zustimmung ist.
Verflucht schwer, die Regeln dieses wetterwendischen Wettbewerbs mit zu tragen, wenn man gleichzeitig den Eindruck kultiviert, die Position des a priori Guten, Gerechten, Sozialen, Richtigen zu besitzen. Verflucht schwer, mitten auf einem Markt auf Gewinne zu setzen, die nur auf Nicht-Märkten zu erringen wären. Verflucht schwer also, den Ausnahmezustand der besseren Ethik (vor den Menschen ist kein Preis gesetzt!) so zu bewahren, dass man doch auch förderlich in die Konvention des Geschachers um Konsens und Koalitionen passt.
Dass dies Massen nicht gerade anzieht - liegt es wirklich nur an der permanent antikommunistischen, antisozialistischen Attacke jenes Lagers, das bestimmte Mitglieder der Linkspartei sanft-distanziert zwar als bürgerlich bezeichnen, obwohl sie Feindeslager meinen? Noch immer vermeint man in manchen linken Entschiedenheiten eine Grundfremdheit im System zu spüren, die das Ressentiment bedient, man berausche sich an all dem, was Krisen befördert, mehr als an allem, was sie überwindet. Man produziert Vorurteile und wundert sich, dass man Vorurteilen zum Opfer fällt?
Ein Problem des Modernen ist die wachsende Verschwommenheit des Begriffs. Wenn FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher über die Linke schreibt, meint er Urkräfte jenes gestaltend Bürgerlichen, das den prosperierenden, kontrollierten und sozialen Kapitalismus zusammendenkt. Wenn Jeanskönig »Levi's« mit Krawall-Demo- und Occupy-Clips wirbt, nennt er das »Radical Chic« - so wird jede Kaufentscheidung zu einem »linken Akt des Nonkorformismus« (»Financial Times«), und überhaupt gehen Rebellion und Unterhaltung gut zusammen - wie schon in den sechziger Jahren, als bei der linksintellektuellen High Society New Yorks die Mitglieder der Black Panther-Bewegung zu Special guests jeder besseren Party wurden. Die Sozialdemokratie nennt sich ebenso selbstbewusst links, wie die Linkspartei ihr dieses Etikett absprechen will und selber Raum bietet für unterschiedlichste Links-Strömungen. Philosoph Peter Sloterdijk träumt von einer neuen »Linken aus Generosität« - von einem Linksbegriff also, der just den konkurrierend Erfolgreichen in die freiwillige Pflicht des Teilens nimmt; Fürstenerziehung heute. »Für die ganze Skala der gebenden Tugenden haben wir praktisch kein Empfinden mehr.«
Von hier ist es nicht weit zu einer Dissidenz, die das Bestehende nicht mehr nach dem alten Kampfmuster Unten gegen Oben, Markt gegen Moral kritisiert, sondern eher aus der Eingemeindung aller in ein gemeinsames Schicksal, das auf absehbare Zeit Schrecken und Hoffnung zugleich bleibt: Der Kapitalismus ist dem Augenschein nach nicht darauf angewiesen, in gegenwärtiger Form konserviert zu bleiben, er lebt zäh im Wandel, »kein Wesen ist er, sondern mächtiger als alle Wesen« (»Süddeutsche Zeitung«). Der Kapitalismus reizt das Linke zum Aufbegehren, das sich aber dann, arbeitend, »nur« als Produktivkraft für eine stabile Mitte erweist.
Der Kapitalismus kann sogar, wie ein Blick nach China verrät, mit enormem Risiko testen, wie weit er seine Funktionstüchtigkeit zu treiben vermag, ausbeuterisch, ohne dabei Freiheit und Rechtsstaat, ohne Demokratie und Öffentlichkeit zu etablieren. (Soeben war in der FAZ zu lesen, der Chef von Pekings Parteihochschule, Xi Jinping, habe gegenüber Angela Merkel angekündigt, »die Stabilität der Parteiherrschaft mit der Selbstartikulation der Gesellschaft zu verbinden«; dies ist der gordische Knoten jeder Einparteienherrschaft, sie war bislang die einzige praktische Methode, mit der linkes Denken sich im 20. Jahrhundert, gewaltsam stets, zum Staat aufschwang - und dann freilich im Beton erstarrte).
Es ist genau die Geschmeidigkeit des Kapitalismus, die es allem Linken offenkundig so schwer macht. Denn mit Dehnbarkeit hat er alle Feindschaften gegen sich noch immer ertragen, alle linken Schattierungen dieser Feindschaft aufgesogen und sämtliche Zornesformen letztlich immer wieder besänftigt. Ob bürgerliche Demonstrationen gegen einen Bahnhofsbau, Occupy, andauernde Castor-Transport-Proteste oder sogar jener noch unsichtbare Linksterrorismus, der in Abständen in Frankreich und anderswo als Botschafter eines »Kommenden Aufstandes« randaliert: Es sind Zeichen eines gewachsenen allgemeinen Unbehagens - das aber nicht automatisch, etwa in Deutschland, jene Linkspartei stärkt, die doch viele Forderungen nach sozialeren Verhältnissen (wie es Lafontaine in seinem Essay nachweist) lauter und rechtzeitiger als andere Parteien formuliert.
Nein, je größer die Krise des Systems, desto größer offenbar die Sorge Vieler, es könne zusammenbrechen. Menschen teilen jeden aufrührerischen Zorn, möchten aber nicht das Beben der Grundfeste erleben. Stephané Hessel, diesem grandiosen Methusalem des aktiven Unmuts, schien es geraten, seinem Pamphlet »Empört euch!« (aufgrund der unberechenbaren Wirkung, die es hervorrufen könnte) rasch ein einbindungsbittendes »Engagiert euch!« nachzuschicken. Wäre es wirklich nötig gewesen? Verdämmern nicht immer wieder alle Impulse, die eben noch an einen politischen Dammbruch denken ließen? Ins überspitzte Deutsche übersetzt: Man goutiert Linksentschiedenheit, wählt aber sicherheitshalber CDU. Die linke Notlüge, man vertrete zwar die Interessen der Mehrheit, müsse das aber besser »rüberbringen« und werde allzu sehr ausgegrenzt, sie wirkt immer ungelenker: Die Interessen der Mehrheit folgen offenkundig einer Gemütstruktur, die links unbegriffen bleibt. Oder man scheitert am eigenen Defizit an Aura.
Ein Problem bleibt auch: Einerseits ist die LINKE eine Partei wie jede andere, sie diskutiert also bundespolitisch müde und mittelmäßig wie alle über Haushalt, Mindestlohn und Rentensysteme, übers Konkrete also (worin im Kommunalen freilich ihre große Stärke liegt!), andererseits aber steht sie in speziellen Gesinnungspflichten, die über die aktuelle Politik hinausgehen. Wo andere bürgerliche Parteien an der möglichst besten Verwaltung eines als gediegen und gelungen empfundenen Status quo der Gesellschaftsentwicklung arbeiten, schauen demokratische Sozialisten fortwährend auch auf neue Horizonte. Sind also Sänger eines offenen Ausgangs, der aber just in ungewissen Zeiten nur wenige Unerschütterliche zu berühren scheint. Gesinnung, stabile Weltanschauung, Klassenbewusstsein gar - das hat zudem in nachwachsenden Generationen, die das Leben als wechselhaftes, unbestimmt haltbares Projekt ansehen (müssen), kaum noch Basis; Lebenshaltung bildet sich am wenigsten in Parteien aus, die nur noch Hauswarte von Rahmenbedingungen für wachsende Formen der freien Existenzgestaltung oder der möglichst komfortablen Duldung des allgemeinen Missstandes geworden sind.
Utopietreue ist eine reizvolle und ehrenreiche Monstranz ganz Linker. Aber alles wünschenswert Bessere dieser Welt wird mittelfristig von der doch sehr pragmatischen Frage belastet bleiben, wie es gelingt, Weisheit und Einsicht auf soziale Institutionen zu übertragen und in technische Systeme einzubauen. Individuen können klug sein, Institutionen sind im günstigsten Falle gut konzipiert - an solchen Übertragungsproblemen wird sich auch die linkest vorstellbare politische Kraft abarbeiten müssen.
Der Grüne Daniel Cohn-Bendit sagte: »Nur die Kombination aus Existenzsicherung und Transformation bietet eine nachhaltige Lösung.« Der bereits erwähnte Peter Sloterdijk in seinem jüngst veröffentlichten Tagebuch: »Das Kollektiv sollte wandlungsoffen sein wie am Vorabend einer Revolution und zugleich ruhighalten wie ein saturiertes Bürgertum.« Der Philosoph nennt das eine nahezu tragische Situation für jede linke Kraft. Mit einer Vorstellung, das Linke sei eine Wagenburg, die sich schützend um die einzig wahre Idee vom richtigen Leben gruppiert, scheint es jedenfalls endgültig vorbei zu sein.
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