Werbung

»Ich bin die Michelle«

Die Ehefrau von Ex-SPD-Chef Müntefering will 2013 in den Bundestag einziehen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Michelle Müntefering, bis dato vor allem als Frau des einstigen SPD-Chefs Franz Müntefering bekannt, will Bundestagsabgeordnete werden. Vorgestern kämpfte sie darum, Direktkandidatin im Wahlkreis Herne/Bochum II zu werden. Es war ein unterhaltsamer Abend.

»Meinen Namen finde ich gut!«, sagt die Kandidatin in dem beigen Pullover und schwarzen, knöchellangen Rock, betont in ihrer Bewerbungsrede aber, sie wolle nicht wegen ihres Nachnamens gewählt werden. »Ich bin eine eigenständige und politische junge Frau«, spricht Michelle Müntefering, geborene Schumann, 32, Journalistin - und seit drei Jahren verheiratet mit Franz Müntefering. Als Anhängsel des SPD-Urgesteins will sie nicht gelten, auch wenn Kamerateams und Fotografen gewiss nicht wegen ihrer Vergangenheit als lokale Vize-Juso-Vorsitzende hier sind. »Ich bin die Michelle«, stellt sich die Müntefering der Wahlkreiskonferenz vor. »Bochum und Herne sind zwei unabhängige Städte - so wie ich.«

Michelle Müntefering will 2013 in den Bundestag einziehen, daher Direktkandidatin im Wahlkreis Herne/Bochum II werden, der als sicheres Sprungbrett in die Bundeshauptstadt gilt. Ihre Chancen stehen nicht schlecht an diesem Abend: Der bisherige MdB Gerd Bollmann tritt aus Altersgründen nicht mehr an. Mitbewerber Uwe Knüpfer, immerhin Chefredakteur des SPD-Zentralorgans »Vorwärts«, hat sie bereits aus dem Rennen geschlagen. Und zumindest die Delegierten aus Herne weiß Müntefering mehrheitlich auf ihrer Seite.

Ihre letzte Konkurrentin heißt Anke Hildenbrand. Die Juristin jedoch ist nicht nur älter, erfahrener, süffisanter und ein Stück weit souveräner. Sie verströmt auch noch sozialdemokratischen Stallgeruch: einfache Verhältnisse. Aufstieg durch Bildung! Ratsmandat. Die Müntefering muss kämpfen. Auch gegen ihr Image. Bundestag? »Ich bin sicher, ich kann das«, sagt sie. Und verspricht den Delegierten ein Ergebnis von »klar über 50 Prozent«. Ein Raunen geht durch die Genossen im Bürgersaal der Akademie Mont Cenis.

Die SPD brauche zwei Flügel, sonst könne sie nicht fliegen, ruft Müntefering. »Das stammt von Helmut Schmidt«, murmelt ein Delegierter. »Die SPD«, ergänzt die Kandidatin, »braucht aber auch ein Herz, das links schlägt.« Das klingt eher nach Oskar Lafontaine. Franz Müntefering sitzt hinten rechts im Saal und wirkt nicht sehr begeistert.

Da wettert seine Frau auch schon gegen Niedriglöhne und den Zwang zum Aufstocken. »Wir müssen eigene Reformen zurücknehmen«, fordert sie. Franz Müntefering deutet ein Klatschen an, sein Blick indes wirkt versteinert. Der staatlich geförderte Niedriglohnsektor - seine Idee. Schlecht bezahlte Arbeit soll der Staat »mit Hilfen interessanter« machen, forderte er als SPD-Chef schon 2004.

Michelle Müntefering vergleicht die Vermögensverteilung im heutigen Deutschland mit derjenigen von - ausgerechnet - 1998. Der Vergleich fällt nicht gut aus für Menschen, deren Herz links schlägt: 1998 besaß das oberste Zehntel 45 Prozent des deutschen Vermögens, 2003 waren es bereits 49, fünf Jahre später 53 Prozent. Im selben Zeitraum sank der Anteil der ärmeren Bevölkerungshälfte am deutschen Reichtum: von vier Prozent auf eines. So hat die Müntefering es heute in der Zeitung gelesen.

1998? Das war das Jahr, als ein gewisser Gerhard Schröder ins Bundeskanzleramt zog - der Beginn eines rot-grünen Interregnums, auf das 2005 eine Große Koalition folgte. Franz Müntefering diente im Laufe dieser Jahre mehrfach als Minister, als Partei- und Fraktionschef, als Vizekanzler. Die Agenda 2010 sei richtig, verteidigt Franz Müntefering noch heute die von ihm mit angestoßenen Hartz-Reformen, zeigte sich zuletzt aber ein wenig besorgt über die wachsende Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse.

Michelle Müntefering wirkt ernsthaft empört über die soziale Schieflage im Land. In Berlin wolle sie sich gegen die Verarmung der Städte und für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte engagieren. Ihr Gatte wibbelt, während erstmals mittelstarker Applaus aufbrandet, dezent nervös mit den Beinen. Entsinnt sich der 72-Jährige gerade daran, wie die Rahmenbedingungen der Zocker unter seiner Vizekanzlerschaft verbessert wurden?

Eine Prognose will er nicht wagen, welche der Damen das Rennen machen wird. »Hinterher!«, brummt Müntefering senior. Schließlich wird das Ergebnis verkündet: 77 Stimmen für die Müntefering. 51 für ihre Konkurrentin. 17 Enthaltungen. Franz Müntefering klatscht in die Hände - etwas intensiver als zuvor, doch noch immer wenig euphorisch.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.