Das Urteil geht an der Wirklichkeit vorbei

BSG bestätigt hohe Säumniszuschläge der Krankenkassen

  • Lesedauer: 3 Min.
Krankenversicherte mit offenen Krankenkassenbeiträgen müssen weiter hohe Säumniszuschläge zahlen. Nach einem am 29. August 2012 verkündeten Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel (Az. B 12 KR 3/11 R), das die gesetzlich festgeschriebenen Säumniszuschläge in Höhe von monatlich fünf Prozent gebilligt hat, haben Verbände eine Gesetzesänderung gefordert.

Nach Einschätzung von Experten geht das BSG-Urteil an der sozialen Wirklichkeit vorbei. So rügt der Paritätische Wohlfahrtsverband, dass viele Versicherte infolge der bestehenden Regelungen in eine Schuldenspirale abrutschen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung verlangt ebenfalls vom Gesetzgeber Korrekturen.

Monatlich fünf Prozent oder 60 Prozent im Jahr

Nach den gesetzlichen Bestimmungen müssen Krankenkassen bei rückständigen Beiträgen einen Säumniszuschlag von monatlich fünf Prozent oder 60 Prozent im Jahr erheben. Betroffen sind hierbei sogenannte Selbstzahler wie Freiberufler oder Selbstständige.

Nach Angaben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) lagen die Rückstände im Juni 2012 bei insgesamt 1,77 Milliarden Euro. Haben sich Versicherte trotz der seit April 2007 bestehenden Krankenversicherungspflicht nicht bei einer Krankenkasse angemeldet, können laut GKV-Spitzenverband rückwirkend Kassenbeiträge sowie Säumniszuschläge eingefordert werden.

Geklagt hatte ein selbstständiger Restaurator mit einem Einkommen von 600 Euro. Dieser geriet 2007 mit seinen Beiträgen bei der AOK Nordost um 650 Euro in Rückstand. Er zahlte zwar die Beiträge wieder nach, nicht jedoch die Säumniszuschläge von monatlich fünf Prozent. Insgesamt waren dies mehr als 100 Euro. Angemessen sei ein Prozent monatlich. Exakt in dieser Höhe verlangten die Krankenkassen von den Arbeitgebern Säumniszuschläge. Ein Zuschlag von monatlich fünf Prozent sei dagegen »strafbarer Wucher«. Die AOK berief sich hingegen auf das Gesetz.

Hoher Säumniszuschlag und großer Verwaltungsaufwand

Das Bundessozialgericht hielt die Säumniszuschläge für rechtens. Sie sollen sicherstellen, dass säumige Beitragszahler ihre Schuld schnell begleichen. So werde die Funktionsfähigkeit des Systems der Krankenversicherung gesichert. Der hohe Säumniszuschlag sei auch mit Blick auf den großen Verwaltungsaufwand zum Eintreiben der noch offenen Kassenbeiträge gerechtfertigt. Der Kläger kündigte den Gang zum Bundesverfassungsgericht an.

»Das Urteil geht an den sozialen Realitäten vorbei«, rügte Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Bereits mit der Einführung der Krankenversicherungspflicht sei der großen Koalition bekannt gewesen, dass wahrscheinlich viele Menschen ihre Versicherungsbeiträge und damit auch die hohen Säumniszuschläge von 60 Prozent im Jahr nicht bezahlen können.

Fatal sei es, wenn Arbeitslose mit noch offenen Kassenbeiträgen einen neuen Job erhalten. »Sind die Kassenbeitragsschulden dann nicht beglichen worden, haben sie trotz neuer Arbeit bei Krankheit nur Anspruch auf eine medizinische Notversorgung«, sagte Rock. Besser sehe dies für verschuldete Menschen aus, die Sozialhilfe oder Hartz IV beziehen. »Auf diese Weise werden die Menschen abgehalten, in die Arbeit zurückzukehren.«

Derzeit berechnet sich der Krankenkassenmindestbeitrag nach einem Monatseinkommen in Höhe von 1864 Euro. 15,5 Prozent davon für die Krankenversicherung ergeben einen Beitrag von monatlich 288,92 Euro. Verdienen Selbstzahler weniger, müssen sie trotzdem diese Summe entrichten. epd/nd

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