Kaputt = sympathisch
Rainald Goetz las im DT
Ist »Johann Holtrop« ein antikapitalistischer Roman? Ja, aber ... Rainald Goetz' neues Buch ist so antikapitalistisch wie der Kapitalismus selbst. Es kritisiert ihn durch radikale Affirmation. Es zerstört ihn, indem es ihn zeigt. Die Mechanismen, die Menschen. Macht. Kälte. Angst. »Johann Holtrop« steigt mit seiner Titelfigur, dem Vorstandsvorsitzenden eines global agierenden Medienkonzerns, in schwindelerregende Höhen. Um alsdann mit ihm, dem Ich-Universum Johann Holtrop, rasend in die Hölle zu fahren.
Mit höchsten Weihen wurde dem Autor am Deutschen Theater Berlin bei der ersten öffentlichen Lesung des Romans der verbale rote Teppich ausgerollt. DT-Intendant Ulrich Khuon und Suhrkamp-Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz traten am Mittwochabend ans Rednerpult, um sich vor Goetz zu verneigen. Khuons Rede, die von den Schwierigkeiten des gegenwärtigen Bühnenschaffens handelte, Vorgänge im Inneren der ökonomischen und politischen Macht mit exaktem Blick zu erfassen, flehte Goetz, dem ebendies gelinge, um eine Rückkehr zu Theatertexten wie »Krieg« (1986) oder »Jeff Koons« (1998) an. Berkéwicz legte ihren Finger in das »Feuer der Goetz-Woche«, womit sie die Tage unmittelbar nach Erscheinen des Buches meinte, in denen verschiedene Zeitungen wütende Verrisse druckten. »Hat er nicht einfach nur einen historischen Roman geschrieben?«, fragte die Verlegerin rhetorisch. Einen Roman, man höre!, wie ein Schiller-Stück? Ein notwendiges Buch, an dessen Anfang die Einsicht und an dessen Ende die Läuterung, die Katharsis, steht?
Derart huldigend eingeführt, schritt endlich Rainald Goetz auf die Bühne, forschen Schrittes, wütend voran. Goetz, 58, die kurzen Haare so schlohweiß wie das gut am sehnigen Körper sitzende Hemd, hatte exakt 45 Minuten und null Sekunden veranschlagt, um seinen Roman zu inszenieren, zu erklären, zu verteidigen, anzugreifen. Sitzend, Gesten und Blicke effektiv als Requisiten einsetzend, las er sorgfältig ausgewählte Passagen. Stehend, schreitend, explosivkräftige Körperenergien spärlich zügelnd, referierte er in vier eingeschobenen Zwischenakten die Punkte »Figur«, »Firma«, »Narration«, »Rezeption«. Nach exakt 45 Minuten war Schluss. Goetz zurück am Theater: Khuons Wunsch war schneller erfüllt worden als erhofft. Das hochkonzentrierte Publikum begeistert.
»Johann Holtrop«, ein antikapitalistischer Roman? Goetz im DT: Dem Kaputten gelte seit jeher seine Sympathie; Sympathie begriffen als »hysterisch-intellektualistisches« Verstehenwollen. Auch für »gute Laune« gab der Autor sein Synonym: »Wut«.
Rainald Goetz: Johann Holtrop. Abriss der Gesellschaft. Suhrkamp, 344 S., geb., 19,95 €.
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