Giusi Nicolinis Kampf für die Flüchtlinge von Lampedusa
Wieder gab es einen Brandanschlag gegen die Bürgermeisterin der italienischen Mittelmeer-Insel
Viele haben Bilder von Lampedusa vor Augen. Wer Glück hat, erinnerst sich an einen Urlaub auf einer traumhaft schönen Insel mit Bilderbuchstränden und freundlichen Menschen. Tierschützer besinnen sich auf die Meeresschildkröten, die hier ihre Eier legen und an die Personen, die die Legestätten Tag und Nacht bewachen, damit die Kleinen ungestört schlüpfen können.
Aber für die meisten von uns ist Lampedusa die Insel irgendwo zwischen Europa und Afrika, an deren Küsten Tausende von Migranten landen - und viele auch als Leichen angespült werden, weil sie die Flucht und die Überfahrt nicht überlebt haben. Auf dem kleinen Friedhof der Mittelmeerinsel sieht man sie immer wieder: Kleine und zum Teil verwitterte Holzkreuze, auf denen nur ein paar Zahlen stehen: »03 n. 5« heißt zum Beispiel, dass hier ein unbekannter Mensch begraben wurde, der 2003 angespült wurde - der fünfte in jenem Jahr. Die Friedhofswärter legen auch an diesen Gräber ab und zu Blumen nieder und hoffen darauf, dass irgendwann einmal ein Nigerianer, Tunesier oder Libyer auftauchen wird, der einem dieser anonymen Gräber einen Namen gibt.
Unweit des Friedhofs sieht man einen riesigen Schrotthaufen: Hier liegen die Boote, mit denen die Migranten die Überfahrt gewagt haben, und wenn man die winzigen und halb verrotteten Kähne sieht, auf denen manchmal 100 Menschen zusammengepfercht waren, wundert man sich, dass es überhaupt Überlebende gibt.
Giusi Nicolini, seit letzten Mai Bürgermeisterin, kennt ihre Insel wie kaum eine andere. Seit über 25 Jahren kämpft die heute 50-Jährige auf allen Ebenen für ihre Heimat. Es begann mit dem Engagement für den Naturschutz: Frau Nicolini erwirkte, dass von der »Spiaggia dei Conigli«, einem der schönsten Strände der Welt, die Bretterbuden verbannt wurden, an denen man Sonnenschirme mieten und belegte Brote kaufen konnte. Dieser Einsatz handelte der mutigen Frau den ersten Brandanschlag ihrer »Karriere« ein - die Schmiede ihres Vaters ging in Flammen auf und als klare Einschüchterung wurde nur wenige Meter davon entfernt ein Kranz mit ihrem Namen niedergelegt. Trotz eines Gerichtsbeschlusses fand sich auf der Insel kein Unternehmen, das die illegalen Buden abreißen wollte und zum Schluss musste dafür sogar das Militär anrücken.
Neben dem Umwelt- und Naturschutz ist das zweite politische Standbein der heutigen Bürgermeisterin, die ganz jung in die kommunistische Jugendbewegung eintrat, der Kampf für eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge. »Wir hoffen, dass sehr viele Migranten hier landen werden, dass es diesen Personen gelingt, unsere Küste zu erreichen. Denn für uns sind das keine Nummern, sondern Menschen.«
Auch diese Einstellung gefällt natürlich einigen politischen Organisationen nicht. Und so kam es zu einem weiteren Brandanschlag, gegen Giusi Nicolini. In der vergangenen Woche ging ein altes Flüchtlingsboot in Flammen auf. Das hatte man auf ein zur Kirche gehörendes Gelände gebracht, auf dem mit Unterstützung der Bürgermeisterin ein Flüchtlingsmuseum entstehen soll. In der Nähe fand man einen Zettel, auf dem geschrieben stand: »Wir wollen nicht, dass die Illegalen sich frei auf der Insel bewegen. Hast Du verstanden? Bis zum nächsten Mal.« Unterzeichnet war die offene Drohung mit »Bewaffnete Gruppe Freies Lampedusa«.
Aber irgendwie hat Frau Nicolini nicht verstanden. Im Gegenteil: Sie setzt sich dafür ein, dass die Flüchtlinge, die den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer ins reiche Europa gefunden haben, nicht wie Schwerverbrecher behandelt werden und dass man sie nicht in menschenunwürdigen Auffanglagern einsperrt, Familien auseinander reißt und Asylverfahren endlos dauern. Sie weist ganz ruhig darauf hin, dass es überhaupt keine Beweise dafür gibt, dass die Einbrüche, die einige Inselbewohner in der letzten Zeit angezeigt haben, tatsächlich auf die Kappe der Migranten gehen und deutet vorsichtig an, dass dahinter auch neofaschistische Gruppen stehen könnten, die wieder einmal die Spannungen auf der Insel hochkochen lassen wollen.
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