Aus für Delitzsch war längst besiegelt

Prinzip Hoffnung gegen den Kahlschlag der Bahn

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 3 Min.
Durch Proteste hoffen Belegschaft und Betriebsrat des Delitzscher Werks der Deutschen Bahn, den Vorstandsbeschluss zu kippen, dem zufolge das Werk Ende 2002 geschlossen werden soll.
Von diesem Beschluss erfuhr Werkleiter Wolfgang Stiller exakt am 26. Juni in Berlin - dem Zeitpunkt, als die Deutsche Bahn auch die Medien davon unterrichtete, dass es für Fahrzeuge künftig statt der 18 Ausbesserungswerke nur noch 10 geben werde. Was als »konsolidierte Instandhaltung« bezeichnet wird, bedeutet für 630 Delitzscher Eisenbahner das Aus. Alternativen sind weit und breit unbekannt. Das Werk Delitzsch - bis 1997 war es für die Instandhaltung der Reichsbahn-Schnellzugwagen zuständig - ist in der Stadt und im Landkreis mit 20 Prozent Arbeitslosigkeit der größte Arbeitgeber. Mit dem Bahn-Werk (650 Arbeitsplätze) fällt auch die Arbeit der Bahn-Tochterunternehmen weg, werden Schule und Ausbildungswerkstätten geschlossen, verlieren viele Zulieferer - vom Bäcker bis zum Blechwerk - ihre Aufträge, ist das weitere Bestehen des Eisenbahnersportvereins fraglich. Delitzsch hat dann mindestens 1000 Arbeitslose mehr. Ein Ingenieur fragt: »Warum gerade Delitzsch?« Die »Langfristige Werke-Ordnung« von 1992 gab dem Werk eine Zukunft. 1997 wurde es dem Geschäftsbereich Regio zugewiesen, um außer der Reparatur die Nahverkehrsflotte zu modernisieren. Delitzsch ist auch mit instandgesetzten Ersatzteilen, Radsätzen und Drehgestellen für ganz Mittel- und Süddeutschland zuständig. Für die EXPO 2000 baute man hier mit Hilfe der Halberstädter Kollegen zwei so genannte Innovationszüge, die vierzigmal in der Woche den Fahrgästen zwischen Hannover und Bielefeld im regulären Betrieb zeigten, welchen Komfort der Nahverkehr künftig bieten kann. Alle zeigten sich zufrieden. Jetzt aber heißt es, das Delitzscher Werk besitze kein Know-how für die Instandhaltung moderner Reisezugwagen, es tauge nur für Auslaufmodelle. Für die Infamie, mit der Johannes Keil, Geschäftsführer des Bereichs Fahrzeuginstandhaltung, an die Schließung der Werke gegangen ist, findet Lothar Bormann, der Vorsitzende des Betriebsrats, recht kräftige Worte: »Sie haben uns alle belogen und betrogen! Ja, es stimmt, die Gerüchte verstummten nie, dass wir auf der Abschussliste stehen.« Bormann legt einen Brief vom Bundeskanzleramt auf den Tisch. »Wir haben gewarnt und Gerhard Schröder um Hilfe gebeten. Was erfahren wir? "Die Schließung des Werkes Delitzsch ist nicht vorgesehen." Nicht - ist sogar unterstrichen!« Keil hatte dem Landrat mitgeteilt, der Vorstand habe zum Standort Delitzsch keine Beschlüsse gefasst. Dann wurde eine Lenkungsgruppe gebildet, die auch den Unternehmensberater Berger unterstützte. Delitzsch gehörte nicht dazu. Wohl aber Vertreter der Werke von Neumünster und Wittenberge, die sich nur abfällig über Delitzsch (»Feldschmiede!«) geäußert haben sollen. Wie zufällig bleiben diese beiden Werke aber erhalten! »Das Berger-Gutachten hält keiner Überprüfung stand«, urteilt ein Technologe in Delitzsch. »Unvergleichliches wurde verglichen, künftige Entwicklungen nicht betrachtet, Einsparpotenziale blieben unberücksichtigt. Was da drin steht, ist genau das, was der Auftraggeber, der Bahn-Vorstand, wissen wollte. Auf dem Deckblatt steht: Delitzsch ist aus dem Zielszenario auszuschließen.« Als das bekannt wurde, organisierte der Betriebsrat sofort den Widerstand, rief die Politiker herbei. Kurt Biedenkopf kam wie ein Volkstribun aus Dresden und brachte seinen Minister Kajo Schommer mit. Der Bahnvorstand wollte die beiden nicht ins Werk lassen. Biedenkopf versprach »das Möglichste«, man werde alles prüfen. »Die Bahn ist nicht für Strukturpolitik zuständig«, erfuhren die Bahnwerker vom DB-Technik-Vorstand Karl-Friedrich Rausch, den sie als Kapitalistenschwein beschimpften. Anderntags versprach der Ostbeauftragte Rolf Schwanitz »Unterstützungsmöglichkeiten«, ohne sich genauer auszulassen. Seitdem herrscht Hoffnung im Werk. Andere bleiben skeptisch, meinen, die Auftritte der Politiker seien nur Rituale, vom bevorstehenden Wahlkampf bestimmt. Schlosser Andreas Buhle hörte nur Durchhalte-Parolen. Für ihn und die anderen sind der Kündigungsschutz und die sozialverträglichen Maßnahmen nichts wert, nur Aufträge. Dass der organisierte Aufruhr Erfolg haben könnte, davon ist Betriebsrats-Chef Lothar Bormann überzeugt. Er verweist auf die Aktionen, die die Reudnitzer Brauerei gerettet haben und auf eine Liste mit über 15000 Unterschriften. Am 15. August soll jemand vom Bahn-Vorstand nach Delitzsch kommen. Wird er einlenken ?

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