Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Bilder nicht nur „Aktien an der Wand

  • Gespr?ch
  • Lesedauer: 6 Min.

Eine „Brandenburgische kultursoziologische Chronik“ soll 1994 im Zusammenhang mit einer großen Ausstellung in Potsdam der Öffentlichkeit vorgestellt werden. An dem Projekt, das bisher mit 22 000 DM vom Kulturministerium des Landes Brandenburg gefördert wurde, wirken die Kunsthistorikerinnen Dr. Wally Poltiniak, Dr Gerlinde Förster, Renate Bergerhoff und Dörthe Lammel, die Schriftsteller Petra Eisner und Eckard Mieder sowie die Journalistin Heidi Jäger mit. In Ateliergesprächen befragen sie ingesamt 21 Künstler, darunter Ronald Paris, Monika-Maria Nowak, Harald Kretzschmar, Lothar Krone, Hans Scheuerecker und Olga Haslo sowie vier Galeristen zu ihrer Sicht auf ihr Leben und Schaffen vor und nach der Wende. Dr Armin Schönbach, Initiator des Projektes und Vorsitzender des Brandenburgischen Verbandes Bildender Künstler, ist Jahrgang 1938, lebt in Eichwalde bei Berlin, ist Soziologe und Maler Er gehört ebenfalls zu den Befragten und gewährte auch ND ein Gespräch.

Hans der Fährmann, so Ihr Künstlername, hat an vielen Stationen des Lebens festgemacht: Vor dem Studium praktische Arbeit, Spediteur, Postangestellter, Zugschaffner; dann das Studium an der Berliner Humboldt Universität; nach der Promotion als Soziologe an der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften tätig. Wie und wann ist der Fährmann bei der Kunst des Malens angekommen?

Ich stamme aus Dresden, bin mit der Kunst aufgewachsen. Zur Malerei kam ich als Autodidakt. Das hat Vor- und Nachteile. Man braucht viel Zeit und Kraft, um bestimmte Techniken zu beherrschen. Der Weg vom Wollen zum Können ist lang. Mit einem Studium kommt man sicher schneller voran. Andererseits

bleibt der mühevolle Prozeß erspart, um sich beim Finden der eigenen Sprache von den herrschenden Lehrmeinungen zu lösen.

Fasziniert hat mich von Anfang an die klassische Moderne, vor allem der französische und deutsche Expressionismus mit seiner freien Behandlung der Formen, mit seinen starken Farben, die Eigenwert besitzen. Bis in die 80er Jahre habe ich abstrakte Bilder gemalt. Dann gelangte ich an Grenzen. Ich wandte mich deshalb stärker der konkreten Form zu, ohne die eigenen Intentionen aufzugeben.

Wo haben Sie Ihre Anregungen hergeholt?

Viele habe ich aus der deutschen Kunstgeschichte erhalten. Es gab vortreffliche Kunstsammlungen in der DDR. Die Museumsleute in Halle haben beispielsweise frühzeitig, in den 50er Jahren, interessante Arbeiten der Expressionisten gesammelt, in jener Zeit, als diese Richtung offiziell verpönt war. Im Berliner Kupferstichkabinett bekam man Originale von Klee, Marc, Macke, Nolde und anderen in die Hand. Gute Kunstbände und Fachzeitschriften vermittelten ebenfalls ein Bild vom künstlerischen Schaffen in der Welt. Es war nicht so, daß sich die DDR-Bürger in geistiger Hinsicht wegen der Mauer auf dem Mond befanden. Natürlich mußte man aktiv sein, um Kataloge oder kunstwissenschaftliche Veröffentlichungen zu bekommen.

Warum haben Sie sich nach 1989 ganz dem Malen zugewendet?

Es war so etwas wie eine Rückkehr. Gemalt hatte ich eigentlich immer, und irgendwann merkte ich, daß ich mich entscheiden mußte. Das tat ich 1989. Malerei ist für mich immer wieder ein Abenteuer. Ich habe das Bild nie fertig im Kopf, es entwickelt sich im Kampf mit der leeren Fläche.

Die Arbeit ist für mich erst dann beendet, wenn ich nicht mehr weiß, was ich verbessern könnte.

Jemand schrieb, auf die Malerei bezogen: „Es gibt keine Regeln, es gibt nur die Tat.“ Wenn ich die Geschichte der Malerei betrachte, mit ihrer Vielfalt der Auffassungen und Richtungen, die sich oft diametral gegenüberstehen und heftig bekämpfen, gelange ich zur Überzeugung, daß dieser Gedanke richtig ist. Ich male in erster Linie nicht, was ich sehe, sondern ich male, was ich fühle. Malen ist für mich eine Art Antrieb, ein Vorgang der Befreiung. Er befreit die Seele, d. h. ich kann bestimmte innere Zustände, Emotionen abarbeiten.

Sich frei malen - das führt zu der auch im Konzept der Ateliergespräche enthaltenen Frage, wie Sie die Kulturpolitik der DDR einschätzen...

Die Kernfrage ist doch, wieviel Freiheit dem Künstler in seinem Schaffensprozeß gelassen wird. Und da glaube ich, daß viele Kulturfunktionäre von ihren eigenen beschränkten Auffassungen ausgingen und nach dem Motto handelten: Was auf das Bild kommt, weiß ich, ich kann nur nicht malen. Es ist eben immer fatal, wenn Leute ein Ämtchen haben, es sehr wichtig nehmen und nicht das Format dafür besitzen. Zweifelsohne gab es in der DDR Künstler, die sich korrumpieren ließen, aber viele hatten auch Charakter.

Ich kenne zum Beispiel Dresdner Maler der älteren Generation - inzwischen leben sie alle nicht mehr - die zu Zeiten, als die Formalismusdebatte tobte oder der Bitterfelder Weg gepriesen wurde, ihre Bilder malten, und oft waren es abstrakte. Der große Nachteil war natürlich, daß man sie dann in der Öffentlichkeit nicht zeigen konnte, aber das künstlerische Schaffen ging weiter. Hinzu kommt, daß der Einfluß der SED-Par-

teiführung auf die bildende Kunst sehr unterschiedlich war.

Dennoch wurde das Kunstschaffen in der DDR nach der Wende von manchen als reine „Staatskunst“ abqualifiziert...

Das zeugt ebenso von Dummheit und wenig Sachverstand. Ich bin sicher, daß zum neuen Deutschland auch ein gut Teil der Kunst aus der DDR gehört.

Wie empfinden Sie als Künstler die veränderten Lebensbedingungen?

Verändert haben sich viele äußere Dinge. Ich kann problemlos die richtigen Farben kaufen, kann reisen, mir in westdeutschen Museen und Galerien Werke der alten und neuen Kunst im Original ansehen, und ich habe neue Freunde kennengelernt. In meinem künstlerischen Schaffen bin ich freier geworden, das ist verbunden mit der Hinwendung zu einer feineren Malweise. Sicher eine Reaktion auf die Schrottkunst. Meine Bilder sind stärker gesellschaftsbezogen. Themen wie „Der Tanz um das Goldene Kalb“ drängen sich geradezu auf.

Erschrocken bin ich über die hohe Bewertung von blo-ßen materiellen Besitzständen in der neuen Gesellschaft. Das ist kaum förderlich für die Kunst. Ich bin davon überzeugt, daß dieses Wertebewußtsein, wie es uns tagtäglich suggeriert wird, historisch kaum Bestand haben wird. Die meisten verwechseln heute Kunst mit Lebensqualität.

Die Kunst geht zum Brot. Eine alte Weisheit. Aufs Heute bezogen, heißt das: Die Kunst braucht ihren Markt. Wie sehen Sie das?

Wie den meisten Künstlern aus dem Osten weht mir gegenwärtig ein eisiger Wind ins Gesicht. Ich glaube, daß es jetzt zunächst darauf ankommt, Tritt zu fassen. Mit

dem bürgerlichen Kunstzirkus muß man irgendwie zurechtkommen, ohne seine Seele zu verkaufen. Wie das zu machen ist? Da bin ich noch beim Probieren. Ich hoffe, daß es in Ost und West genügend Kunstfreunde gibt, die noch ihre sechs Sinne beisammen haben, und denen es nicht so geht, wie im Märchen von des

Kaisers neuen Kleidern. Vor einigen Tagen sagte mir ein erfahrener Kunsthändler aus München: Wenn die Preise für die Kunst die Qualität von Kunstwerken widerspiegeln sollten, müßte der ganze Kunsthandel neu organisiert werden. Ich nehme an, der Mann weiß aus Erfährung, wovon er spricht. Den Markt

als eine Art sachkundigen Richter anzusehen, der zwischen starker und schwacher Leistung unterscheiden kann, dies ist naiver Kinderglaube. Dank dieses Marktes verkommt vielfach das Kunstwerk zur „Aktie an der Wand“

Gespräch:

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.