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  • Kultur
  • EHRE, BLUT UND MUTTERSCHAFT

Nazissen geben sich modern

  • Lesedauer: 2 Min.

Kollegen von Franziska Tenner hatten gewarnt: Jede Form journalistischer Auseinandersetzung mit den heutigen Faschisten ist immer auch ein Stück Propaganda für sie. Die junge Berliner Journalistin, Jahrgang 1966, weiß selbst, daß man sich nicht waschen kann, ohne den Pelz naß zu machen. Und so erläutert sie in ihrem Buch ihre Motivation, Risiken und Recherchemethoden. Sie hat sich für das Projekt als Sympathisantin getarnt. So gelangte sie in die Neo-Nazi-Szene, gewann Vertrauen und merkte schnell, daß diese Szene keine reine Männersache ist. Junge Frauen stehen hier den martialischen Männern in nichts nach.

Die Autorin hat O-Ton zu Papier gebracht. Sie hält sich mit wertenden oder erklärenden

Franziska Tenner- EHRE. BLUT UND MUTTER-SCHAFT. Getarnt unter Nazi-Frauen heute. Aufbau-Verlag, Berlin 1994. 280 S.. Br., 25 DM.

Bemerkungen zurück. So gelingt es ihr pars pro toto deutlich zu machen, warum junge Menschen heute zu Rechten werden. Und wer sie mit braunen Gift infiziert.

Da ist die über 80jährige Dr. Ursula Schaffer aus Westberlin. Wenn sie ihr Geistesragout braunster Färbung ausbreitet, kann es nicht nur sensiblen Gemütern schlecht werden. Ihr Warenhauskatalog populistisch-demagogischer Argumente liest sich wie das Parteiprogramm der NSDAP Frau Schaffers „segensreiches“ Wirken in der NS-Zeit und ihre Tä-

tigkeit als Ehrenmitglied der Wiking-Jugend lassen sich so als fatale Brücke zwischen vorgestern und morgen erkennen.

Zu diesem „morgen“ möchte Anka Hübner, Jahrgang 1972, beitragen. Sie ist die Ehefrau des Neo-Naziführers Frank Hübner aus Cottbus. Hier wie an den Lebensdarstellungen der anderen drei jungen Frauen stellt Franziska Tenner auch die persönlichen Lebensumstände dar. Man kommt nicht als Faschist zur Welt. Hoffen auf individuelle Anerkennung und Kameradschaft, auch das Streben n#ch einem Lebenssinn, werden als Grundmotive deutlich.

Die Ex-Verlobte von Michael Kühnen nennt sich jetzt Lisa W (Jahrgang 1971). Sie und Gerlinde Gronow (Jahrgang 1974) sind zwei Musterbei-

spiele für die verhängnisvolle Mischung von politischer Dummheit, historischer Halbbildung und unbefriedigter Geltungssucht. Die Sehnsucht nach Freunden, nach Liebe und Zuneigung, nach Kameradschaft und Solidarität wird am Schicksal der Lübbenerin Monika Baginski am überzeugendsten faßbar. Hier geht die Autorin ziemlich tief in die Biographie und Psyche.

Franziska Tenners Darstellung merkt man an, daß da eine studierte Psychologin am Werke war. Sicher, Psychologie allein kann nicht alles erklären, aber doch so einiges. Der Autorin ist gleichermaßen für den Mut und das Feingefühl zu danken, mit dem sie dieses diffizile Thema angepackt hat.

DIETMAR EISOLD

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