Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Der Bürgermeister regiert seit 1984

  • Lesedauer: 3 Min.

Regiert wird Röhrsdorf seit 1984 von Bürgermeister Jürgen Konrad (44, früher SED, heute parteilos). Die Gemeindevertreter der ersten Wahlperiode nach 1990 wurden in einem wandfüllenden Ölgemälde im Ratssaal verewigt. Soviel Kunst muß sein. Im Amtsblatt „Röhrsdorfer Nachrichten“ erfahren wir vom Jagdbüfett „Kulinarisch jagen“ des neuen Plaza Hotels, einem der allmonatlichen gesellschaftlichen Höhepunkte des Hauses, an dem auch der Bürgermeister mit Gemahlin teilnahm. Das Amtsblatt verschweigt weder den Preis des Fünf-Gänge-Menüs, 85 Mark, noch den Inhalt von Wildschweinschinken auf herbstlichen Salaten in Limonen-Pfefferdressing über Hirschrükkenfilet im Blätterteigmantel gefüllt mit Champignons, Wa-

choldersauce undsoweiter bis Zarte Creme an Saucenspiegel mit Waldbeeren.

Der Ort verfügt über viertausend Arbeitsplätze, anderthalb Jobs pro Einwohner, davon immerhin 1800 im alten Ort abseits von „Chemnitz Center“ und Gewerbegebiet „Chemnitz Park“ Linker Hand der Bundesstraße 95 Richtung Leipzig erstreckt sich der guterhaltene Ortskern, angenehm aufgelockert durch alten Baumbestand. Rechts von der Straße, die in die Autobahn 4 Dresden-Erfurt einmündet, kurz vor der Abzweigung der A 72 nach Hof, sind 175 Hektar für allerlei gewerbliches und geselliges Treiben vorgesehen. Besonders letzteres bringt die Stadtväter von Chemnitz in Rage, die eine Verödung der Innenstadt fürchten.

So will die hundertmal einwohnerstärkere Großstadt dem Verwaltungszwerg den Baustopp für ein Kinoprojekt aufzwingen, das ab Frühjahr 1995 mit zehn Sälen und 2000 Plätzen das Leben am Abend bereichern soll. Doch die unerwünschte Konkurrenz zu zwei geplanten Großkinos in Chemnitz läßt sich nicht einfach aus der Welt schaffen. Der private Investor habe „alle Möglichkeiten offen und kann bauen, bauen, nochmals bauen“, kontert Bürgermeister Konrad im Amtsblatt gelassen.

Tennishalle, Bowlingbahnen, Hotel und Schnellrestaurant „Burger King“ würde Röhrsdorfs erster Mann überdies gern noch um eine Großdiskothek ergänzen. Den Plan hat er bereits Chemnitz mit Bitte um Stellungnahme bis 31.1.1995 übermittelt. Sogar aus Dresden soll es die Kids samstagnachts hierher ziehen.

Chemnitz ist als Mitgesellschafter der „Terra Wirtschaftsförderungsgesellschaft“ ebenfalls Nutznießer des Gewerbegebietes und kassiert die Hälfte der sprunghaft steigenden Gewerbesteuer. Man arbeitet in einer Planungsgemeinschaft zusammen. Doch zu einer Filiale will das Unternehmen Röhrsdorf nicht her-

unterkommen, sprich statt Eingemeindung lieber Stärkung durch Zusammenschluß mit der kleineren Nachbargemeinde Kandier anstreben.

Dies wurde jedoch bisher nicht genehmigt und daher von Röhrsdorf das Verwaltungsgericht angerufen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die sächsische Staatsregierung statt der Aufwertung von Umlandgemeinden deren Beitritt zur Stadt favorisiert. Die gesetzliche Möglichkeit zum Anschluß wider Willen liegt für alle Fälle bereit. Bis zum Ungewissen Tag X wird die „Röhrsdorfer Wohnungsbau-Förderungsgesellschaft“ durch Bauvorhaben die Einwohnerzahl weiter nach oben treiben, allein bis Ende

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -