- Kultur
- DEUTSCHTUM ERWACHE! -AUS DEM INNENLEBEN DES STAATLICHEN PANGERMANISMUS
Der Mann mit dem Koffer voll Geld
Führende VDA-Funktionäre (links CSU-Politiker Hans Klein) werden 1982 vom CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl (Mitte) empfangen
Herzogs Töne sind alt. Sie stehen in einer guten deutschen, also einer schlechten Tradition. Wilhelm II. eröffnete den ersten Weltkrieg mit dem Hinweis, er kenne keine Parteien mehr, er kenne nur noch Deutsche. Herzog begleitet seine Globalisierung deutscher Außenpolitik durch den weltweiten Einsatz der Bundeswehr mit dem Appell, „daß es in Fragen von nationaler Bedeutung kein parteipolitisches Klein-Klein geben darf und daß darüber nicht nach Klassenlage, nach dem politischen Meinungsbarometer, auf Parteitagen oder durch Gerichte entschieden werden darf
Ganz so deutlich hatte auch Wilhelm II. seine großdeutsche Verachtung der verfassungsmäßigen Klein-Ordnung von Demokratie, Parlament und Justiz nicht zum Ausdruck gebracht. Das ideologische Mistbeet, auf dem die Äußerungen des Kaisers und des Bundespräsidenten gediehen, wird gelüftet durch ein Buch, das schon drei Monate vor der Herzog-Rede erschienen ist: „Deutschtum erwache!“ von Walter von Goldendach und Hans-Rüdiger Minow (unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Volker Külow). Dieser 544-Seiten-Report „aus dem Innenleben des staatlichen Pangermanismus“ bringt Licht in das Dunkel eines Vereins, der als paragouvernementale Organisation die deutsche Politik seit 115 Jahren inspiriert und antreibt: des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ (VDA), der stets für die weltweite deutsche Freiheit zivilen Handels und militärischen Handelns eingetreten ist.
Gegründet wurde der VDA 1880 als „Deutscher Schulverein“ In einem Deutschland, dessen Ersatzverfassung die Sedanschlacht war, planten die Gründer die Germanisierung Europas, notfalls auch mit friedlichen Mitteln wie'Stipendien: „Es wäre ein trefflicher Coup“, schwärmte Mitgründer Alfred Lotz, „so einen Jungen aus dem letzten Langobardendorf zu einem tüchtigen Menschen und besonders deutsch zu machen. Wir fangen damit die ganze Gemeinde.“ Das galt natürlich nur für rassisch wertvolle Europäer, nicht - wie es 1894 an anderer Stelle hieß für „solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slowenen und Slowaken“, die „ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten“ 1887, als der Deutsche Schulverein den bald allein stehenden Zusatz
„zur Erhaltung des Deutschtums im Ausland“ in seinen Namen, aufnahm, hatte er schon über 12 000 Mitglieder, jenseits der deutschen Grenzen war ein Netz von „Vertrauensmännern“ aufgebaut, das für militärische und industrielle Spionage eingesetzt wurde, auch noch in der NS-Zeit. Finanziert wurde der VDA seit den Gründungsjahren von Krupp, Siemens, Mannesmann, Deutscher Bank und anderen export-und expansionsorientierten Unternehmen.
Der Einfluß des VDA und seiner Leute auf die neuere deutsche Geschichte bis in die Gegenwart - hoffentlich nicht in
die Zukunft - läßt sich kaum überschätzen. Sie bereiteten das ideologische Gebräu, mit dem Deutschland besoffen gemacht und in zwei Weltkriege getrieben wurde. Und sie entdeckten zuvor schon, als das restliche Europa durch den Code Napoleon längst zivilisiert war, das „Blut“ als glitschigen Boden des Staatsbürgerrechts - und dieses jus sanguinis, dieses Blutrecht, ist auch heute noch die Grundlage des deutschen Staatsbürgerrechts. In der NS-Zeit mußten verdiente VDA-Funktionäre ins zweite Glied treten, wie Hans Steinacher, der sich stets unmißverständlich dafür eingesetzt hatte, „die eine oder andere Grenzlandfrage durch siegrei-
Walter von Goldenbach / Hans-Rüdiger Minow: Deutschtum erwache! Aus dem Innenleben eines staatlichen Pangermanismus. Dietz Verlag, Berlin 1994. 544 S., zahlr Abb., geb., 54 DM.
ehe deutsche Waffen' zu lösen. Selbst der Professor-General Karl Haushofer, deutscher Erfinder einer aggressiven „Geopolitik“ und „wissenschaftlicher“ Berater Adolf Hitlers, als der in Landsberg „Mein Kampf schrieb, wurde für kurze Zeit festgenommen, als sein junger Freund Rudolf Heß nach England geflohen war Er
war schon 1938 als VDA-Vorsitzender von dem noch fanatischeren SS-Obergruppenführer und Generat' der Polizei,; Werner Lorenz, abgelöst worden, dem späteren Schwiegervater Axel Springers. Die Rolle Haushofers - sein Münchner Privathaus in der Kolberger Straße 18 war eine regelrechte Spionagezentrale, in der Hitler und ausländische Generale ein- und ausgingen und die Achse Berlin-Tokio vorbereitet wurde - ist in diesem Buch etwas unterbelichtet. Das ändert nichts an seinem Wert, den es nicht zuletzt durch die Veröffentlichung bisher geheimer Dokumente gewinnt. Und schon gar nichts an seiner Lesbarkeit: die Autoren bieten
mehr als nur eine Monographie über den DVA, sie machen die Geschichte der letzten hundertzehn Jahre lebendig.
Mitte Januar 1995 - das Buch ist im Dezember erschienen - fand man in Bonn Karsten Schlamelcher, den VDA-Geschäftsführer, in seiner Wohnung tot auf. Für ein Fremdverschulden hatte die Kriminalpolizei keine Anhaltspunkte. Der 44jährige soll an einem Herzinfarkt gestorben sein. Durch Proteste von Bündnis 90 und der PDS war bekannt geworden, daß der Verein für das Deutschtum im Ausland 1994 aus der Bundeskasse 24 Millionen Mark erhielt
und für 1995 ebenfalls eine zweistellige Millionensumme bekommen soll. Die Bundesregierung zeigt sich damit unbeeindruckt von den Ermittlungen, die schon 1993 die Bonner Staatsanwaltschaft gegen den DVA und dessen nunmehr toten Geschäftsführer wegen des Verdachts der Untreue und des Betrugs aufgenommen hat. Dabei geht es um Millionenbeträge, die der Deutschtumverein zur „Soforthilfe“ in Osteuropa, insbesondere für die Wolgadeutschen, vom Auswärtigen Amt und vom Innenministerium erhalten hat. Geschäftsführer Schlamelcher soll als „Mann mit dem Koffer“ die Finanztransfers ins Ausland vollzogen haben.
Auf Seite 426 des Buches heißt es: „Der Mann aus Deutschland öffnete den Koffer. Wegen des galoppierenden Rubelverfalls zählte jede Mark mehrfach. Für eine Tausendernote ließ sich in Kaliningrad fast alles kaufen. Berücksichtigte man die lächerlichen Bodenpreise, so enthielt der Koffer den Gegenwert beträchtlicher Ländereien.“ Vorwurf der Autoren: Das Gebiet um Kaliningrad soll aufgekauft und wieder eingedeutscht werden. Sie zitieren einen VDA-Bericht aus dem Jahr 1992 über die Tochtergesellschaft „Eintracht“ „Die Hauptaufgabe der Gesellschaft ... besteht in der Koordinierung der .stillen' Übersiedlung von Deutschen in das Kaliningrader Gebiet... Der Vorsitzende hat bereits mehr als 700 Hektar Land kaufen können...“ Ähnliche Bestrebungen- gibt es, wie es in dem Buch im einzelnen nachgewiesen wird, auch im Westen, vor allem in Ostbelgien und im dänischen Nordschleswig. Längst sitzen im Verwaltungsrat des VDA Regierungspolitiker wie der parlamentarische Staatssekretär des Innern und Aussiedlerbeauftragte Horst Waffenschmidt oder der Bundestagsvizepräsident Hans Klein, aber auch ein rechtschaffender Pfarrer wie der SPD-Abgeordnete Horst Sielaff, der sich eifrig und bemüht von allem distanziert, was dem guten Ruf schadet.
Das ist die neue Fassade, hinter der das alte gefährliche Spiel weitergeht und die an einem nichts ändert: Ein Bekenntnis zum Verein für das Deutschtum im Ausland und seiner neuen Tradition nach 1945 schließt den Respekt vor dem Mordgeist Adolf Eichmanns ein. Mitgründer und langjähriger Vorsitzender im Nachkriegs-DVA war bis zu seinem Tod der Rechtsextremist Rudolf Aschenauer. Der Vorsitzende Aschenauer, 1941 als „zuverlässiger, e hihdlzbureiter und verwendungsfähiger Nationalsozialist“ beurteilt, unterhielt ausgezeichnete Kontakte zu CSU-Mäzenen aus der Wirtschaft wie dem Industriellen Rolf Rodenstock und dem einflußreichen Baumillionär Robert Heitkamp, die dank seinem Bemühen in den Verwaltungsrat des VDA einrückten. Heitkamp hatte ebenso wie Aschenauer erste politische Erfahrungen in der NSDAP gesammelt und bevorzugte nach deren Ende für die Führungspositionen seines über die ganze Welt verzweigten Betriebes
die besonderen Fähigkeiten ehemaliger SS-Angehöriger Heitkamp sammelte eine Personendatei mit etwa 13 000 Eintragungen über seine Geschäftspartner und unterhielt so vorzügliche Beziehungen zu Regierungsstellen in Bonn, daß ihm zahlreiche Regierungsbauten anvertraut wurden.
Auch Aschenauer selbst besaß gute Verbindungen zur Bundesregierung und hatte als Verteidiger im Prozeß gegen einen Geiselmörder der SS den Rechtsgrundsatz aufgestellt: Russen dürfen mittels Genickschuß exekutiert werden, sofern sie einem sozialistischen Staat angehören, dessen Eigentumsordnung eine immerwährende Gefahr darstellt. Genau deshalb mußte auch auf das „Gebiet Barbarossa“ 1941 der vorbeugende Überfall erfolgen, wobei „deutscherseits das Recht“ bestand, „auf Repressalerschießungen sowjetischer Kriegsgefangener zurückzugreifen“ 1980 gab der nunmehr VDA-Ehrenvorsitzende Aschenauer zum Kampf gegen die - wie es hieß -„Sechs-Millionen-Legende“ in dem neonazistischen Druffel-Verlag das Buch „Ich - Adolf Eichmann“ heraus - Aufzeichnungen zur Rechtfertigung des Judenvernichters.
Seine Genickschußapologie veröffentliche Aschenauer in der „Deutschen Nationalzeitung“ Dort schrieb auch heimlich, ohne Namen - der Professor für öffentliches Recht Theodor Maunz (CSU), der dem Extremistenblatt mit juristischem Rat weiterhalf. Als bayrischer Kultusminister wurde Maunz auch ein - wie die Autoren schreiben - „stiller VDA-Förderer an einflußreicher Stelle“ - er war mit der finanziellen Ausstattung des VDA amtlich befaßt. Als erfahrener Wissenschaftler (1937 „Der geformte Plan des Führers ist oberstes Rechtsgebot“) zog er Roman Herzog als LiebllngüaKslstenten heran und schrieb mit ihm gemeinsam den herrschenden Kommentar auf die jeweils gültige Fassung des Grundgesetzes. Maunz und sein Kreis - das war das wissenschaftliche Milieu, in dem der gegenwärtige Bundespräsident heranwuchs. Das macht seine jüngste Rede so leicht verständlich. Und darum könnte dieses Buch aus dem Innenleben des staatlichen Pangermanismus gegen die Absicht der Autoren zum Vademecum durch die Politik des wieder viel zu groß gewordenen Deutschland werden.
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