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  • Kultur
  • Wampilows „ Letzter Sommer in Tschulimsk“ am Landestheater Detmold

Tableau stillen, versenkten Schmerzes

  • Lesedauer: 3 Min.

In Detmold, angelehnt an den Teutoburger Wald, wo Hermann der Cherusker die Römer in die Sümpfe trieb, steht das Theater gleich gegenüber dem fürstlichen Schloß. Doch wer artiges, angestaubtes Provinztheater hinter den gewaltigen Säulen des Portals vermutet, hat sich getäuscht. Im Spielplan steht (oder stand) Populäres, mit dem Bühnen dieser Art ein Publikum der kleinen Städte erreichen wollen; zugleich aber auch die Werke von Udo Zimmermann, Benjamin Britten, von Dürrenmatt, Mrozek, Horvath, Mnouchkine, Kroetz oder Grabbe, dessen dramatisches Genie hier in Detmold am reaktionären Spießertum der deutschen Restauration im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts erstickte.

Daß in Detmold gutes, seriöses Theater stattfindet, sah ich an der Inszenierung von „Letzten Sommer in Tschulimsk“ von Alexander Wampilow, und daß hier überhaupt ein sowjetischer Autor gespielt wird, verdient Beachtung. Wampilow hinterließ nur fünf Stücke, er ertrank 1972, noch nicht 35jährig, im Baikal-See und

gehört nicht zur Generation der Schatrows und Gelmans, deren Texte durch ihre operative, kritische Thematik und ein offensives Demokratieverständnis bekannt und - in der DDR oft genug gegen behördliche Blockade - viel gespielt wurden. Wampilow schrieb „leise“ Stücke, sein Thema war die sowjetische Provinz und die kleinen Leute darin. Er beschrieb den Alltag mit seinen heiteren und tragischen Seiten, mit Hoffnungen und Resignation, in dem schon Anzeichen gesellschaftlicher Agonie und verbrauchter Ideale sichtbar wurden.

So war für Ulf Reiher, Regisseur der Aufführung und Intendant des Hauses, der Griff zu Wampilows „Letzter Sommer in Tschulimsk“ wohl ein Risiko; doch er verstand, das „Fremde“ und die „Nähe“ der Inhalte erlebbar zu machen, wie es die Witwe des Autors, Olga Wampilowa, die Gast des Theaters war, nach der Premiere treffend ausdrückte.

Fremd war das Milieu im sibirischen Tschulimsk, die triste Teestube, die baufälligen, derben Holzhäuser (Bühnenbild Michael Engel) und der

exotische Ewenke aus der Taiga mit seinem Gewehr Doch sehr „nah“ waren dem Zuschauer, das spürte man, die Konflikte der Menschen: „Tschulimsk“ als ein Stück über Frauen von heute, ihren Lebensanspruch, ihr Glück, ihren Glücksverzicht. Die tüchtige Choroschich verliert nicht nur ihren Mann, der, immer betrunken, zurück in die Taiga will, sondern auch ihren Sohn. Und die Apothekerin Kaschkina klammert sich an Richter Schamanow, obwohl sie weiß, daß der eine andere liebt, weil sie ihm wieder Sinn im Leben zu geben vermochte: Valentina. Doch das junge Ding ist einem andern versprochen, der Haus und „Ansehen“ hat. Am Ende steht ein Tableau stillen, versenkten Schmerzes dreier Frauen, das lächelnde „Glück“ der Männer, und über allem das Gedröhn der Düsenflugzeuge.

Ulf Reiher hat das zu einem spannenden, konfliktvollen Abend zusammengefügt. Er ist den Verästelungen in den Biographien der Figuren sorgsam nachgegangen (in der Exposition etwas zu ausführlich), so daß das Mit- und Gegeneinan-

der der Schicksale sich zu einem psychologisch dichten, stimmigen Bild fügt. Auch Momente von Heiterkeit, von Glück und Neubeginn sind hingesprenkelt.

Ausgezeichnete Leistungen zeigten die Frauen: Eva Kas* perl (Choroschich), Grit Asperger (Kaschkina) und Katharina Köhntopp als Valentina, deren uneigennützige, aufrichtige Art und liebenswerter Charakter den Untersuchungsrichter Schamanow (Jürgen Roth) zu neuer Verantwortung finden läßt. Wiedersehen mit dem Ex-Erfurter Karlheinz Welzel als tappriger, gekrümmter Ewenke, dem die Flinte aber noch fest in der Hand liegt; eine wunderbare Studie hilflosen Alters, das nicht weggeworfen sein will. Ein hervorragend disponiertes, leistungsstarkes Ensemble, das langen, herzlichen Beifall erhielt. Ein guter, ein nützlicher Abend zeitgenössischen Theaters, das jenseits allen offiziellen Aktionismus versucht, etwas zum Verständnis der Lebensweise des russischen Volkes beizutragen.

KLAUS PFUTZNER

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