- Kultur
- „Mäusefest“ von JOHANNES BOBROWSKI
Rainfarn macht unsichtbar
„Also dann ist ja gut, und wenn du den Verlag doch nicht aufgibst undsoweiter, dann kriegst du also ein Bändchen“, schrieb Johannes Bobrowski im Juli 1964 an Klaus Wagenbach. Die Erzählungssammlung „Mäusefest“ war das dritte Buch im damals frischgegründeten Verlag Klaus Wagenbach - und das letzte des Autors zu Lebzeiten. Nun kam Johannes Bobrowskis „Mäusefest“ wieder heraus.
Die Titelerzählung ist die schönste: Ein alter Mann, Moise Trumpeter, sitzt in seinem Laden, es ist abends oder nachts, und der Laden ist leer Bis auf den Mond und die Mäuse - „mal tanzen sie so und mal so, und alles mit vier Beinen, einem spitzen Kopf und einem dünnen Schwänzchen“ Und dann geht die Tür auf, herein tritt ein Soldat... Was geschieht? Zunächst einmal nichts Aufregendes. Der alte Jude und der junge Deutsche schauen für eine Weile gemeinsam den Mäusen zu. Als der Soldat weg ist, redet Moise mit dem Mond. Was er laut in
Johannes Bobrowski: Mäusefest und andere Erzählungen. Mit einem Nachwort von Klaus Völker Verlag Klaus Wagenbach Berlin. 76 S, geb., 48 DM.
den Raum sagt, ist zu lesen aber was er meint, das muß der Leser erspüren...
Seine Prosa liege in dem Dreieck, das von Robert Walser, Isaak Babel und Hermann Sudermann gebildet wird, hat Bobrowski selbst einmal erklärt. Wie oft auch in seinen Gedichten beschwört er hier die Erinnerung an die Landschaften seiner Kindheit und Jugend - ^Tilsit, Rastenburg, Königsberg. In schöner, lyrisch ausgefeilter Sprache spricht er von seiner Traurigkeit.
Der Rainfarn, so heißt es in der gleichnamigen Erzählung, mache unsichtbar, wenn er zu Johanni gepflückt wird. Blüten in die Schuhe gestreut oder eine Dolde an die Mütze gesteckt, und man kann ungehemmt Leute beobachten, z.B. die rosige Frau Schnetzkat beim Sonnenbad oder den Herrn
Doktor Storost, dem der Wind die Zettel durcheinanderweht, auf denen er die ganze litauische Geschichte aufgeschrieben hat. Und das alles ist noch unbeschwert, heiter bis zum Spott. Aber dann kommt der Junge mit dem Rainfarn an die große eiserne Brücke, die über den Strom führt, und sieht ein paar Familien, „Väter, Mütter, Kinder, mit ein paar Taschen und Körben“ auf die andere Seite ins Litauische hinübergehen, ganz sicher so ganz freiwillig nicht - „und können erst wieder stehen bleiben und atmen, wo Deutschland zuende ist“ Unter der schimmernden Oberfläche dieser Prosa liegen viele Schichten - Gedanken, Gefühle und im Kern eine tiefe innere Zerstrittenheit. „Lauft* Leute, möchten wir sagen, und das könnten wir schon tun. Und den flotten Kerlen entgegentreten, die mit ihren Stiefeln und ihren Reden großtun, hinter den Familien her. Aber wir haben das ja nicht getan. Nicht einmal das Sträußchen Rainfarn nahmen wir von der Mütze, um es fortzuwerfen.“
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.