Klos gehören in den Polizeikessel

Gericht knüpft »Ingewahrsamnahme« unter freiem Himmel an scharfe Bedingungen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 2 Min.
Wenige Wochen vor einem neuerlichen Castortransport ins Zwischenlager Gorleben hat die Justiz der Polizei beim Vorgehen gegen Demonstranten Grenzen gesetzt.
Bei Einkesselungen unter freiem Himmel müssen die Beamten für »menschenwürdige und zumutbare Bedingungen« sorgen, urteilte jetzt das Amtsgericht Dannenberg. Geschieht das nicht, ist eine so genannte Ingewahrsamnahme »von Anfang an rechtswidrig« (Az 39 XIV 512/02 L). In dem Verfahren ist über die Klage eines Atomgegners entschieden, der im Rahmen von Anti-Castor-Protesten im November 2002 bei klirrender Kälte gemeinsam mit rund 700 weiteren Demonstranten im Dörfchen Laase in einem Polizeikessel festgehalten wurde. Damals wurden erst nach Stunden zwei Toilettenwagen herangeschafft. Die Polizei kümmerte sich nicht um die Versorgung der Eingekesselten. Lediglich Außenstehende reichten Getränke, Verpflegung und einige Wolldecken in den Kessel hinein. Das Urteil formulierte konkrete Anforderungen an eine künftige Einkesselung. So müsse es den Eingeschlossenen ermöglicht werden, ihren »natürlichen Grundbedürfnissen unter sauberen und ordentlichen Bedingungen« nachzukommen. Spätestens zwei Stunden nach Beginn der Maßnahme muss die Polizei mindestens einen Toilettenplatz für 50 Gefangene bereitstellen. Die Benutzung der Klos habe »zumutbar organisiert« zu erfolgen, keinesfalls dürfe ein Toilettengang verweigert werden. Den Festgehaltenen müssen jederzeit Getränke und bei längerer Einkesselung auch Essen zur Verfügung stehen, so das Gericht. Bei Ingewahrsamnahmen »zur Nachtzeit und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt müssen zudem Heißgetränke verabreicht werden«. Auch sei es den Demonstranten nicht zuzumuten, dass sie nachts mehrere Stunden in einem Polizeikessel stehen oder sich auf eine nasse und kalte Wiese setzen müssen. »Dementsprechend müssen Isomatten oder vergleichbare Unterlagen zur Verfügung gestellt werden«. Wenn die Polizei auf Grund ihrer personellen und materiellen Ausstattung die genannten Bedingungen nicht erfüllen kann, muss »die Ingewahrsamnahme von vornherein unterbleiben«, urteilte das Gericht. Schließlich wohne jedem Polizeikessel »bereits von vornherein eine Tendenz inne, den menschlichen Achtungsanspruch« und damit das Grundgesetz zu verletzen. Wer wie »zusammengetriebenes Vieh« auf engem Raum festgehalten werde, Witterungseinflüssen ausgesetzt sei und in der Regel keine Getränke erhalte und nicht aufs Klo gehen dürfe, werde physisch und psychisch übermäßig stark belastet. So gerate eine Einkesselung schnell zur »erniedrigenden Strafaktion«. Dies dürfe aber nicht sein. Der Dannenberger Richterspruch reiht sich in eine ganze Serie von juristischen Klatschen für die bei Castortransporten eingesetzte Polizei ein.

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