- Kultur
- Die Irrfahrt des legendären „Schatz des Priamos“ fand ihr vorläufiges Ende
Schliemanns Gold im Puschkin-Museum
Gold und Geschmeide glitzert in Glasvitrinen auf schwarzem Fond. Das Moskauer Puschkin-Museum präsentiert den legendären Schatz des Priamos. Nach Jahrzehnten in geheimen Depots gab es zuerst individuelle Foto- und Filmtermine für höchst zahlungskräftige Bewerber, am Montag dann eine Pressekonferenz, auf der kontroverse Standpunkte vertreten wurden. Minister Sidorow wandte sich gegen die Behauptung, daß Rußland eine „harte Position“ vertrete. Er kündigte für November eine internationale wissenschaftliche Konferenz zur weiteren Erforschung des Schatzes von Schliemann in Moskau an.
Der Deutsche Botschafter von Studnitz äußerte Kritik an der einseitigen Vorbereitung der Ausstellung. Er forderte die Einhaltung des Vertrages über Nachbarschaft von 1990 und des Kulturabkommens von 1992. Beide Dokumente böten die Grundlage „für eine zivilisierte, dem hervorragenden Stand der bilateralen Beziehungen entsprechende Regelung der Rückführungsfrage“
Unter Hinweis auf die russischen Verluste im Zweiten Weltkrieg hatte zuvor Minister Sidorow eine „einfache Rück-
gabe dessen, was zu uns gelangt ist“, ausgeschlossen. Auf Anfragen forderte er eine „strenge rechtliche Basis für jedes Einzelstück“ Erst nach der Verabschiedung eines Gesetzes über die Restitution durch das russische Parlament könnten Gespräche über Forderungen geführt werden. Er kündigte die Übergabe einer Liste mit 30 000 konkreten Ansprüchen der russischen Seite an.
Nach der offiziellen Eröffnung mit Prominenten am Dienstag ist die legendäre Sammlung ab Mittwoch auch der Öffentlichkeit zugänglich. Von der gesamten Kollektion mit ihren mehr als 600 Stücken bietet das Haus der Direktorin Irina Antonowa 259 dem Betrachter dar, weitere Teile lagern auch noch in der St. Petersburger Ermitage. Die filigranen Schmuckstücke aus Gold, Silber, Kristall, Edel- und Halbedelsteinen können nur Entzücken auslösen. Besonders zwei der „schönen Helena“ zugeschriebene goldene Diademe dürften zu Magneten des erwarteten Ansturms der Besucher werden.
Die Schau „Die Schätze von Troja. Die Ausgrabungen Heinrich Schliemans“ ist von den Expositionen der „Beutekunst“
die vielleicht am stärksten umstrittene. Erst Ende der 80er Jahre sickerte durch, daß das mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschollene Gold Heinrich Schliemanns nach dem Abtransport bei Nacht und Nebel aus Deutschland in sowjetischen Kellern unter strikter Geheimhaltung verwahrt sei. Über Dezennien wurde in Moskau also geschwiegen und gelogen.
Die von einem hiesigen Fernsehsender nun urplötzlich gleichfalls wiederentdeckte russische Ehefrau Schliemanns sollte in einer Reportage zur Eröffnung offenbar Besitzansprüche der neuen Aussteller suggerieren. Trotz einer vagen Verheißung Michail Gorbatschows mit den Worten, „warum nicht“, und Jelzins Hinweis, daß Beutegut „natürlich“ zurückgegeben werde, ist von Restitution keine Rede mehr Wenn man auch für die „Trophäen“ nicht mehr den Titel der 1995er Sonderschau „Zweimal gerettet“ und die schönrednerische Variante „Verlagerung auf das Territorium der Sowjetunion“ wagt, bleibt die damalige Logik jedoch durchaus erhalten.
Die deutsche Seite versteht die Exposition quasi als un-
freiwillige Leihgabe des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, wo die Funde des Amateurforschers bis zum Zweiten Weltkrieg verwahrt wurden. Russischen Politikern, Experten und Teilen der Öffentlichkeit geht es im Kern um eine Kompensation gewaltiger eigener Verluste an Kunst- und Kulturschätzen. Das Recht an den Stücken wird mit dem Sieg im Krieg und der bedingungslosen Kapitulation des Hauptgegners begründet. Als „rechtswidrig verbracht“
räumt man vielleicht gerade noch Fälle ein, bei denen Sowjetsoldaten ohne Befehl ihrer Kommandeure handelten.
Direktorin Antonowa versicherte mehrfach, daß alle Kulturgüter, die in staatliche sowjetische Museen kamen, genauestens katalogisiert und restauriert wurden. Ob nun diese Kostbarkeiten nach Deutschland zurückgeführt werden, entscheide aber nicht das Museum. „Wir bewahren sie auf und zeigen sie. Wir behandeln sie wie unsere eigenen Exponate“, versprach sie. Daran dürfte sich auch mit den Schliemann-Funden kaum etwas ändern. Die Odyssee des Schatzes endet also vorerst im Saal Nummer 7 des Moskauer Puschkin-Museums.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.