Die bunte Republik

Erinnerungsbuch an ein DDR-Leben

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit vielen Jahren berichtet der Journalist Matthias Krauß aus dem Potsdamer Landtag. Er schreibt für diverse Zeitungen, darunter für »Neues Deutschland«, und er ärgert sich über westdeutsche Aufbauhelfer, die wenig leisten, dafür kräftig abkassieren und ihm auch noch erklären, wie er in der DDR angeblich gelebt hat. Ihn erregt, wenn in einem Buch des Brandenburger Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) »solider Schwachsinn« steht wie, die FDJ-Freunde hätten sich mit »allzeit bereit« gegrüßt. Ihn wurmt, wenn die 1989 erst dreizehnjährige Jana Hensel in ihrem Werk »Zonenkinder« behauptet, die Küchen in Neubauwohnungen seien grundsätzlich fensterlos gewesen. Wie es im Osten gewesen sein soll, hörte und las Krauß immer wieder. Jetzt legte er sein eigenes Erleben in einem Buch nieder. Eine fixe Idee behexe die Verkünder der öffentlichen Meinung, »die Vorstellung, das Leben in der DDR sei trist und grau und auf jeden Fall wertloser gewesen als das westdeutsche«, schreibt Krauß in »Der Wunderstaat«. Dies mit einer Art autobiografisch fundiertem Schelmenroman zu widerlegen, ist er angetreten. Die Titel der 22 Kapitel sehen so aus, als sei der Autor entweder eine bislang verkannte Größe der Zeitgeschichte oder ein Prahlhans aus der Dissidenten-Szene: »Wie ich den FDJ-Bezirkssekretär zu Fall brachte« oder »Wie ich vor Erich Honecker den Hut nicht zog«. Tatsächlich ist Krauß ein Humorist. Zwar zog er als Hennigsdorfer Schüler tatsächlich nicht seinen Filzhut vor Honecker, als er beim Pfingstfest 1977 in Frankfurt (Oder) Landjugend spielen sollte und entsprechend verkleidet an dem SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzenden vorbeidefilierte. Dies aber nur, weil seine Pionierleiterin verlangte, er solle den Hut gar nicht erst aufsetzen. Nein, ein Widerständler war er nicht, dieser Matthias Krauß, obwohl ihn Herbert Rentmeister 1988 aus seinem Büro im Gebäude der SED-Bezirksleitung warf, also aus jenem Haus auf dem Potsdamer Brauhausberg, in dem heute der Landtag untergebracht ist. Krauß war damals Redakteur der »Märkischen Volksstimme« und sollte ein Porträt über den Vorsitzenden des Bezirkskomitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer verfassen. Doch als der Journalist allzu beharrlich etwas über Trotzkisten wissen wollte oder über Kommunisten, die sich in der Nazizeit nicht als Helden erwiesen, da blockte Rentmeister ab. »Du stellst die falschen Fragen.« Erst bei einem zweiten Gesprächstermin kam man sich doch noch näher. Wenn andere Leute andere Erinnerungen haben- bitte sehr. Aber nach der Ansicht des Autors konnte man die DDR durchaus als bunte Republik erleben. Man musste nur wollen. Krauß jedenfalls half selber nach. Als Unterleutnant kommandierte er 1981 in einer Prenzlauer NVA-Kaserne das Verschießen einer Wagenladung mit überzähliger Leuchtmunition (»Wie ich den Befehl befolgte, den Himmel bunt anzumalen«). Als nächstes knöpft sich Krauß das Vorurteil vor, die DDR habe den Holocaust an den Juden nicht ausreichend dargestellt. Das Manuskript liegt schon fertig in der Schublade. Matthias Krauß: »Der Wunderstaat. Richtige Geschichten aus einem falschen Leben«, Anderbeck-Verlag, 159S., brosch., 9,80 EUR

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