Die goldene Bombe

Franz Held

  • Lesedauer: 4 Min.
Dieser Text von Franz Held war seit seiner Erstveröffentlichung 1898 verschollen. Und auch der Autor selbst ist ein Verschollener. Unter dem Namen Franz Herzfeld 1862 in Neuss geboren, war er Schriftsteller und Anarchist, Autor von 11 Büchern und Theaterstücken. 1895 wurde er in München wegen staatsfeindlichen und gotteslästerlichen Texten in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt. Er entzog sich und lebte 1885 bis 1900 zusammen mit seiner Frau Alice und seinen Kindern zurückgezogen auf einer Almhütte bei Aigen, Salzburg. Seine beiden Söhne Wieland Herzfelde und John Heartfield wurden später als Schriftsteller und Künstler weltberühmt. 1900 wurden Alice und Franz Held in die »Irrenanstalt« eingewiesen. - Franz Helds Werke sind so gut wie vergessen. Selbst in der Monographie von John Heartfield war nur zu lesen. »1898 verloren wir die Eltern, und der Vater war Dichter und Sozialist.« Im Rahmen der Ausstellung »Künstler.Archiv« in der Akademie der Künste beschäftigte sich der Künstler Hans Winkler mit dem abenteuerlichen Leben von Franz Held. Er schrieb die »Held Saga« und zeigt die Installation »Die Berghütte im Wald« (Künstler.Archiv Katalog, W.König Verlag). Am 17.8.2005 werden in der Akademie der Künste am Pariser Platz Texte von Franz Held vorgetragen.
Ehern nackt, uneingeschränkt in ihrer eigenen Kraft ruhend, ragt im Luxembourg-Museum die freudig-gewaltig bemuskelte Statue des Selbstmenschen. Der Bildner (Daru hieß er, glaub ich - zur Zeit, wo ich dies erzähle, sind alle Kataloge verloren gegangen -) der Bildhauer hatte sein Werk »Lage de fer« genannt. Ein vorgestreckter Machtarm stützt sich selbstsicher auf den Speer. Unter der erdrückenden Wucht des rechten Fußes liegt ein bezwungener Feind. Grand Boulevard. Vor dem Café Americain. Eisig unbarmherzige Winternacht. Vor den Fenstern der seidenen Unzucht hält eine lange, müde Droschkenreihe. Lackschuhtrippelnde, halbtote Jammermännchen, drängen die pelzumschmeichelten Lohnweiber in die Wagenschläge. Durch die dunklen Seitenstraßen schieben sich scheu-verzweifelt baumstarke Arbeitslose. Die Wissenschaft nennt das den »Sieg des Stärkeren«. Tadellos gekleidete Hurer werden von abgerissenen Arbeitswilligen angebettelt. Ein schnauziges, krankhaft feistes Gesicht in rot-blau gestreiftem Foulard weist eine Bettlerin, die ein aschfahles Kind an die platte Brust drückt, saugrob ab. Hat der Mann mit dem eisigen Römergesicht es bemerkt, der hinter ihm geht? Auf einer Bank unter den schneebedeckten Boulevardbäumen, an der Ecke des strahlenden Cafés, ist ein zerlumpter Alter wie gelähmt vornüber gesunken. Rumpf und Oberschenkel bilden einen spitzen Winkel. Neben dem Regungslosen liegt sein zerknitterter steifer Hut im Schnee. »Paß auf, Jeanne! Ich werde dem Lumpen für einen ganzen Monat zu saufen geben. Das wird sehr rigoló!« Der Fette wirft wirklich ein Goldstück in den schäbigen Hut an der Erde. Die Kokotte lacht kreischend. Der Mann mit dem Römergesicht hat die Manipulation verfolgt. Als die beiden in die Droschke gestiegen sind, rüttelt er den Alten, um ihn, eh' ihm das Goldstück von Vorübergehenden weggenommen wird (der Haken des mégo- [Zigarrenstummel] Suchers stöbert in der Nähe) auf sein Glück aufmerksam zu machen. Aber der Alte regt sich nicht. Sein Gesicht ist bläulich geschwollen. Von Hunger geschwächt, ist er soeben auf der Bank erfroren. Der Mann mit dem Römerkopf nimmt das Goldstück aus dem Hut des Toten heraus und trägt es in sein geheimes Atelier, wo er am selben Abend erst eine Dynamitbombe fertiggestellt hat. Mit dem geschmolzenen Louis-d'or vergoldet er seine Bombe. Das Zerstörungswerkzeug ist rund, Format »cocotte en fonte«. Von dem »marmite«-Format war man zurückgekommen, weil die Polizei es bereits zu gut kannte. Kein Zünder, eine Sturzbombe. Am andern Abend, im Café Americain. Der Markt ist höchst animiert, die menschlichen Vollblutstuten geben ihren Reizen die günstigsten Posen und Emballagen. In dem feinen Herrn, der jetzt grad herein tritt, ist der Dynamitard von gestern nicht wieder zu erkennen. Er trägt im chamoisfarbenen Glacéhandschuh einen rundlichen, mit blutrotem, kokett ausgefranstem Seidenpapier ebenso sorglich wie niedlich umwickelten Gegenstand. Er läßt sich auf einem Plüschdiwan nieder. Die Kokotte neben ihm vermutet in der rot umhüllten Kugel eine Bonbonnière und insinuiert sich ihm deshalb mit geistreich-lasziven Witzen. Er erlaubt ihr, das Seidenpapier ein wenig zu lüften - - Sie sieht die große goldene Kugel. Ihre Augen funkeln in toller Gier. Ihre Gedanken stehen still beim Anblick dieses riesigen Goldklumpens, der mindestens eine Million aufwiegen muß. Die nächstsitzenden Damen umdrängen gleichfalls den Tisch. Verheißendste Augenblitze zucken auf das eiskalte Gesicht des Krösus. Der regt vornehm-lässig die Hand nach der Goldkugel - wem wird er sie schenken?! Ein tagheller Blitz. Ein Bergsturzdröhnen - - Die Vorderwand des Cafés ist glatt fortgerissen. Weit über den Boulevard, bis zur Maison dorée, liegen ruride, geschmeidige Beine in kostbaren, blutbesudelten Spitzenhöschen; glieder- und kopflose Rümpfe, mit wilden Brüsten, die aus zerrissenen Atlaskorsetts vorbrechen. Wie Torsi von Venusstatuen. Die höchst notierten Gliedmaßen liegen nur so umher, jedem auf schiefen Absätzen heranschlotternden Sans-le-Son zugänglich. Entsetzen. Prozesse. Einige irrtümliche Hinrichtungen. Der Täter aber wird nicht gefasst. Racheputschs und Repressionskanonaden. Zwanzig neue Bombenwerfer werden vom Kriegsgericht auf einen Schlag zur Guillotine verurteilt. Der Schleuderer jener Goldbombe (seine Mitverschworenen hatten ihm zum Andenken an die geistreiche Idee den Ehrennamen »tete-dorée« gegeben) war diesmal unter den Delinquenten. Der graue Hof des Gefängnisses La Roquette, der bei Hinrichtungen dem Publikum zugänglich ist, sieht eine unerhörte Orgie der Gaffergier und Kokottenreklame. Aus: Franz Held "Au delà de l`Eau, Geschichten und Walzertact von Bul`mich! Fresco Verlag 1898.

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