Große Koalition bremst NS-Aufarbeitung aus
Seither haben sich weitere Ministerien zur Selbstbeforschung durchgerungen, Studien über die Frühgeschichte von BND und Bundeskriminalamt wurden in Auftrag gegeben. Der Bundestag solle, so steht es im Antrag von Union, FDP und SPD, die Bedingungen für die historische Aufarbeitung verbessern.
Die Grüne Claudia Roth sieht das anders. Die Vorlage enthalte „nur Mini-Schritte und kein wirkliches Konzept zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Ministerien und Behörden". Gemeinsam mit der Linksfraktion haben die Grünen einen Defizit-Katalog aufgestellt: elf Punkte, in denen dargelegt wird, wo die ganz große Koalition nacharbeiten müsste.
Nur "eine lästige Pflicht"?
Der Antrag wirke „an vielen Stellen politisch defensiv", so als handele es sich bei der Aufarbeitung „um eine lästige Pflicht". Die Initiative der drei Fraktionen ziehe „keine systematischen politischen Schlussfolgerungen aus der Debatte um die NS-Vergangenheit von Ministerien und Behörden". Der Titel der schwarz-rot-gelben Initiative, meint auch die LINKEN-Abgeordnete Luc Jochimsen, verspreche zwar viel, löse das aber nicht ein. „Wir brauchen keine defensive Erinnerungspolitik", sagt die Kulturpolitikerin. Und auch ihre grüne Kollegin Roth meint, nach den intensiven Diskussionen der vergangenen Jahre sei das „viel zu wenig".Kritisiert wird unter anderem die zeitliche Beschränkung auf die „frühe Geschichte" der bundesdeutschen Behörden. Schließlich sei inzwischen bekannt, dass noch in den 1960er und 1970er Jahren etwa der BND mit Nazi-Verbrechern wie Klaus Barbie kooperiert hat.
Im letzten Punkt der Stellungnahme von Linkspartei und Grünen wird auf die Gefahr hingewiesen, dass die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen über die NS-Vergangenheit deutscher Behörden unter Hinweis auf allgemein angeführte „schutzwürdige Belange" von Institutionen und Personen behindert werde. Dies müsse „definitiv ausgeschlossen werden".
Grüne fordern transparente BND-Aufarbeitung
Wir dringlich diese Forderung ist, demonstrierten in nämlicher Sitzung des Kulturausschuss wiederum Union, FDP und SPD: Sie lehnten einen Antrag der Grünen ab, in dem ein öffentlicher Bericht „über den Umfang der beim Bundesnachrichtendienst vorhandenen Akten und Erkenntnisse zu Adolf Eichmann und Klaus Barbie" gefordert wird. Immerhin wusste der Geheimdienst bereits seit 1952, wo sich der Holocaust-Organisator Eichmann versteckte - verheimlichte dies aber. Barbie, der „Schlächter von Lyon", wurde noch Mitte der 1960er Jahre sogar als BND-Agent angeworben.Der BND müsse sich „endlich auch öffentlich seinen personellen Verstrickungen mit NS-Verbrechern stellen", sagt der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. Zwar gewährt der Geheimdienst seit einiger Zeit einem Kreis von Historikern Akteneinsicht. Diese seien „jedoch zum Schweigen verpflichtet" - deshalb die Initiative der Grünen zu einer transparenten Aufarbeitung. Zu einer solchen können sich Union, FDP und SPD aber offenbar nicht durchringen.
Ströbele spricht von einer „unverantwortlichen Blockade" der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit deutscher Behörden. Sie zu durchbrechen, jedenfalls was den Antrag zur öffentlichen Übernahme von Verantwortung durch den BND angeht, bleibt nicht mehr viel Zeit: Anfang November wird der Bundestag über die ablehnende Beschlussempfehlung des Kulturausschusses abstimmen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.