Nie war mehr Lametta

Animal Collective und Grizzly Bear

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Popmusik aus den USA ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Nicht, dass man sie einfach arglos hören könnte und dazu selbstvergessen schunkeln oder auf- und abhüpfen wie früher, d.h. vor 30 bis 40 Jahren, in der Zeit zwischen Cat Stevens und Blondie. Man muss sie sich heute hörend erarbeiten.

Schließlich haben die Künstler - in diesem Fall die zwei derzeit meistbeachteten New Yorker Bands, Grizzly Bear und Animal Collective, die beide aus gebildeten, wohlerzogenen, insgesamt eher teddybärartig wirkenden Kuschelmännern bestehen, die sorgsam zurechtgewuschelte Frisuren tragen, also wie kreuzbrave Bankangestellte und Kunstgeschichtestudenten aussehen und nicht mehr wie zottelbärtige Wanderprediger oder heroinsüchtige Haarsprayreklamemodels - sich alle Mühe gegeben, ihre Musik komplex und höllisch arty zu machen und sich dem öden, altbackenen Wohlfühl-Indie-Rockzirkus zu verweigern.

Und beide Gruppen stopfen den ihnen zur Verfügung stehenden Klangraum so voll, dass nichts mehr reinpasst.

Die einen, Animal Collective, die ursprünglich dem sogenannten Freak-Folk/Weird-Folk der neunziger Jahre zugerechnet wurden, haben sich schon in der Adoleszenz mit Musik aus dem dunklen, verstörenden Klangkosmos des 20.Jahrhunderts vertraut gemacht (Ligeti, Penderecki, Atonales, Soundtracks obskurer Horrorfilme), was man auch heute ihrer Musik noch anhört. Stets ferngehalten hat sich die Band hingegen von allem Abgeschmackten und eisern Traditionalistischen, d.h. von Zupfgeigenhanseln und säuselnden Folk-Barden.

Aus den unbekümmerten Noise-Experimenten ihrer Frühzeit erwuchs im Laufe der Jahre die kindliche Freude, alles mit allem zu vermengen: harmonischen Chorgesang mit harschem Disco-Rave, hysterischen Hackepeter-Groove mit obsessiv-ritualistischem Getrommel, possierliche Science-Fiction-Geräusche mit Psychedelik-Orgel. Polternde Rhythmen und sich fortwährend überlagernde Soundeffekte werden nach wie vor hoch geschätzt bei den Mittdreißigern. Nie war mehr Lametta als heute.

Bei dem unentwegten Versuch, Momente des Unvorhersehbaren in den Fluss der Musik zu integrieren, entsteht ein Krieg der Klänge: Jede aufkeimende Melodie wird zielgerichtet zertrümmert, indem neben ihr ein polyrhythmischer Lärmteppich ausgebreitet wird. Und am Ende verliert sie dann stets gegen das enervierende Dröhnen, weil sie von einer gnadenlos aus allen Rohren feuernden Geräuscheffektkanone beschossen wird. Doch verlieren soll sie auch. Wer braucht schon Melodien, wenn es Rummsdibumms gibt.

Mit den vielfach kunstvoll verknoteten Beats und den lustigen Quietsch-, Knatter-, Boller-, Dröhn- und Surrgeräuschen aus dem Synthesizer ist es beim Animal Collective wie mit den kleinen Kindern und den bunten Süßigkeiten: Beats und Geräusche kann man nie genug haben, am besten viele verschiedene auf einmal, gern auch zu einem großen, nur unter Mühen vertilgbaren Batzen zusammengeklebt. Auch gesungen wird kunterbunt durcheinander, ohne dass irgendwo ein Zentrum zu lokalisieren wäre: Unerbittlich herrscht die Ästhetik des totalen Neben- und Durcheinanders. An keinen einzigen der Tracks, die jeweils aus einer Vielzahl übereinandergelegter Klangschichten zusammengesetzt sind, kann man sich nach dem Hören erinnern, was den eminenten Vorzug hat, dass man den hypernervösen, verrappelten Elektrokrach-Rock problemlos immer wieder hören kann, bis man das befriedigende Gefühl hat, man höre mehrere Bands gleichzeitig, die allesamt einen von Presslufthammer- und Computerspielgeräuschen begleiteten Beach-Boys-Song darbieten.

Die anderen dagegen, Grizzly Bear, sind auf andere Art komplex und vielschichtig. Obgleich auch sie sich an der Kunst abarbeiten, liebevoll zahllose Soundschichten aufeinanderzutürmen, beleben sie auf ihre ganz eigene Art raffinierte Beach-Boys-Harmonien wieder. »It’s like hearing the past few centuries of music playing in symphony«, schrieb treffend ein Kritiker bereits zu dem vor drei Jahren erschienenen Album »Veckatimest«, das dem Quartett zu allgemeiner Bekanntheit verhalf.

Auch auf dem neuen Album wimmert der Gesang meist wehmutsgetränkt. Musikalisch wandelt man traumverloren zwischen den Genres hin und her und erzeugt dabei einen ausgeklügelten pompösen Pop: Bläser, Streicher, Orgel, Gitarre und Schlagzeug treten in einen Wettbewerb darum, wer exaltierter und überkandidelter zu klingen vermag.

Die kunstvoll verschachtelten und zusammencollagierten Arrangements erwecken beim Hörer den Eindruck, dass man in einem Song stets viele verschiedene zu hören vermeint: die bittersüße Spätsechziger-Folk-Ballade, die introvertierte Jazz-Piano-Meditation, den sperrig scheppernden Folk-Rock, das opulent orchestrierte Bombast-Popstück à la Van Dyke Parks und Arcade Fire, den spröde rumpelnden Americana-Blues, dann wieder neoimpressionistische Big-Band-Musik in der Tradition des Gil Evans Orchestra oder verschwurbelten Neo-Prog-Rock. »Man müsste die Arrangements der Songs mit einem Mikroskop untersuchen, um ihren Reichtum zu erfassen«, schreibt der »Tagesspiegel«.

Und das Beste ist: Kein Ton gerät ihnen dabei neben die Spur. Zumindest also eine Streberleistung der Sonderklasse. Wie schreibt der »Spiegel«, das Fachblatt für Naturlyrik? »Auflösung in Schönheit, Transzendenz, das Sonnenlicht zwischen den Blättern.«

Animal Collective: Centipede Hz (Domino); live in Berlin (Astra Kulturhaus, 18.11.)

Grizzly Bear: Shields (Warp); live in Hamburg (Uebel und Gefährlich, 30.10.), Berlin (Astra Kulturhaus, 31.10.), Köln (Essigfabrik, 2.11.)

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