Ukrainische Nationalisten auf dem Vormarsch
Abgrenzung von »Swoboda« wäre der westlichen Öffentlichkeit und den Oppositionsparteien in Kiew dringend zu raten
Der Vergleich mit den Zwischenergebnissen vom Montag lässt leichte Veränderungen erkennen: Die regierende Partei der Regionen bleibt stärkste Kraft, ihr Stimmenanteil sank aber auf 30 Prozent, während die »Vereinigte Opposition« (25,5 Prozent) und die Klitschko-Partei UDAR (14 Prozent) zulegten. Auch die nationalistische »Swoboda« (10,5 Prozent) dürfte dank ihrer Direktmandate eine größere Fraktion stellen als die Kommunisten (13,2 Prozent).
Trotz Stimmenzuwachs verfehlten die Oppositionsparteien jedoch ihr Ziel, die Parlamentsmehrheit zu erringen und die Regierung abzulösen. Wiewohl mit einer Verschärfung des innenpolitischen Kampfes zu rechnen ist, wird es demnach bis zur Präsidentenwahl 2015 nicht zu grundsätzlichen Richtungsänderungen in Bezug auf die »europäische Orientierung« oder die »strategische Partnerschaft mit Russland« kommen, was den EU-Mächtigen nur recht sein dürfte. Es hätte nicht des massenhaften Beobachtertourismus bedurft, um die Wahlen als »Rückschritt für die demokratische Entwicklung der Ukraine« zu bewerten und damit die Verschleppung des Assoziierungsprozesses zu begründen. Diese Absicht war lange vor den Wahlen zu erkennen. Nur kann die EU ihren Unwillen zur Einbindung der Ukraine nicht so klar formulieren, dass Kiew »endgültig in die Arme Moskaus« getrieben würde. Also wird auch die Union bemüht sein, Entscheidungen unter Hinweis auf eine notwendige Demokratisierung bis 2015 hinauszuzögern.
Eine einschneidende Zäsur stellen diese Wahlen dennoch dar: Erstmals ziehen Ultranationalisten in Fraktionsstärke ins ukrainische Parlament ein und erhalten für ihre Parolen eine noch größere Plattform. Die Gesamtukrainische Vereinigung »Swoboda« hat sich von der Westukraine bis in zentrale und südliche Regionen ausgebreitet. Im Gebiet Lviv mit über 37 Prozent der Stimmen stärkste Kraft, kam sie selbst in Kiew mit 17 Prozent auf Rang drei. Ein derart starker Zuwachs war weder vom Regierungslager noch von der Opposition erwartet worden.
Zu den vielfältigen Ursachen gehören die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der sozialen Lage und der wachsenden Diskrepanz zwischen Arm und Reich ebenso wie die Enttäuschung über die bisherige Politik aller Parteien. Zum anderen ist der starke Zuwachs in der Wählergunst aber auch Ergebnis der Tolerierung nationalistischer und teilweise rassistischer Erklärungen und Aktivitäten durch die anderen politischen Kräfte - mit Ausnahme der Kommunisten. Nationalistische Interpretationen des Kampfes gegen Hitlerdeutschland beispielsweise wurden während der Präsidentschaft Viktor Juschtschenkos (2005 bis 2010) sogar zur Staatsdoktrin. Die Untergrundarmee UPA, die zumindest zeitweilig an der Seite der faschistischen Wehrmacht kämpfte und an der massenhaften Liquidierung ukrainischer und polnischer Juden beteiligt war, wurde mit Partisanen und Angehörigen der Sowjetarmee faktisch gleichgesetzt. Nationalistische Aufmärsche in Lviv, Kiew und anderen Städten zu Jahrestagen des Kampfes gegen die »sowjetische Okkupation der Ukraine« gehören seither zum politischen Alltag. Noch kurz vor Ende seiner Amtszeit, im Januar 2010, verlieh Juschtschenko dem langjährigen Anführer der ukrainischen Nationalisten, Stepan Bandera, den Titel »Held der Ukraine«. Präsident Viktor Janukowitsch machte dies später wieder rückgängig.
Auch das westliche Ausland grenzte sich bisher nicht konsequent von den Aktivitäten der ukrainischen Nationalisten ab, denn die hetzen mit scharfen antirussischen Parolen gegen jede Zusammenarbeit mit Moskau und sind entschiedene Gegner der Janukowitsch-Politik. Abzuwarten bleibt, ob die politische Öffentlichkeit in Deutschland jetzt im Falle der Ukraine in gleicher Weise Stellung bezieht wie gegen die nationalistischen Kräfte in Ungarn, Österreich oder den Niederlanden. Dringend geboten wäre es, von den anderen Oppositionsparteien im ukrainischen Parlament strikte Abgrenzung zu fordern, denn schon jetzt bemühen sich die Timoschenko-Partei »Batkivtschina« und die Klitschko-Partei UDAR um eine Zusammenarbeit mit »Swoboda«, ohne deren nationalistischen Kurs zu verurteilen.
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