Zu viele Tropfen im Ozean
An der Bestseller-Verfilmung »Cloud Atlas« beißen sich gleich drei Regisseure die Zähne aus
Etliche Jahre nach Beginn der Zusammenarbeit und eine dreistellige Millionensumme Dollar später muss dieses Experiment nun wohl für gescheitert erklärt werden. Ein Dreigespann von Regisseuren, das klang von Anfang an nach einem Overkill an kreativem Input. Vom Autorenfilm kann hier jedenfalls kaum mehr die Rede sein, selbst wenn die drei Regisseure kollektiv auch für die Adaption des Ausgangsromans verantwortlich zeichneten. Zwar ist Film eine Gemeinschaftskunst, aber gar so viel Gemeinschaft ist dann wohl doch der Tod der Kunst. Was dazu passt, dass trotz allseitigen Kunstwillens keiner der Figuren im Film zu dem - von Tykwer mit etwas Hilfe auch gleich selbst komponierten (wie buchstabiert man Hybris gleich wieder?) - allseits als meisterlich gefeierten Musikstück, das dem Film den Titel liefert, mehr einfällt als ein hingehauchtes »Ist das schön!«
»Cloud Atlas« erzählt sechs Geschichten von Unterdrückung und Versklavung in ihren unterschiedlichsten Spielarten, als wirtschaftliche, physische, moralische Freiheitsberaubung in einer je nach der behandelten Epoche auf ihre je eigene Weise nahezu undurchdringlich rigiden Klassengesellschaft - bis hin zu Mord und Totschlag. Sechs Geschichten aber auch von letztendlicher Befreiung und Selbstbehauptung, und sei es im Extremfall durch den selbstgewählten Tod. Formal reicht Mitchells literarisches Arsenal vom aufklärerischen Tagebuchroman über den journalistischen Wirtschaftsthriller zum ziemlich genie-kultigen Schwulendrama und über den Schelmenroman zurück in eine denkbar archaische und schon halbwegs sprachunkundige Zukunft. Er ist mal Beichte, mal Verhör, bald Schauerstück, bald breiteste Sozialsatire.
Vom Film zu diesem Buch könnte man akute Reizüberflutung erwarten angesichts einer derart mit Tod und Schmerz, obrigkeitlichen Verschwörungen und freiheitlichen Erkenntnisprozessen überfrachteten Erzählung. Statt dessen tobt kleine drei Stunden lang eine gähnende, lähmende Langeweile, sieht man vom anfänglichen heiteren Beruferaten einmal ab: Wer von den vielen namhaften und durch die Zeiten auch brav immer wiederkehrenden Darstellern - von Tom Hanks über Jim Broadbent, Susan Sarandon und Hugh Grant bis Halle Berry - steckt denn nun unter jeweils welcher mehr oder weniger verunstaltenden Gesichtsmaske? (Kleiner Tipp: Hugh Grant, über die Zeiten des schüchtern stammelnden jugendlichen Liebhabers nun wohl endgültig hinaus, gibt hier unter anderem einen ganz famosen Kannibalen ab.)
Auch die Romanvorlage erfand das literarische Rad nicht neu, aber sie bediente sich einer abwechslungsreichen Reihe literarischer Formen und hatte mit deren präzise orchestrierter Abfolge in der symmetrischen Gestalt eines mittig geöffneten Buches - erzählerisch in fünf Episoden zur mittleren aufsteigend und dann in umgekehrter Reihenfolge in fünf Episoden auch wieder hinab -, eine überraschend originelle Struktur. Was dort die Mitte war, wird hier zum Rahmen, und die virtuelle Simultaneität der Dinge wird auf eine narrative Chronologie übertragen, die am Ende natürlich genau das trotzdem bleibt: eine chronologische Erzählung, in sechs Einzelsträngen gewoben, die wieder und wieder miteinander verknüpft werden, damit ein möglichst sinnstiftender Bilderteppich draus entsteht.
Wenn also Jim Broadbent als schmieriger Verleger im London des Jahres 2012 in eine Intrige gerät und beinahe seine Freiheit verliert, gibt es im ansonsten ziemlich seelenlosen Neu-Seoul des Jahres 2144 eben bereits den Film nach seinen Memoiren - auch wenn der eher aussieht wie eine Schauerfarce von B-Movie, wie sie schon Schlock-Meister Quentin Tarantino mit Vergnügen konsumiert haben könnte. Und aus den wenigen öffentlichen Worten der freiheitskämpfenden, Solschenizyn zitierenden Klon-Kellnerin aus dem Seoul des Jahres 2144 sind im post-apokalyptischen Hawaii der noch etwas ferneren Zukunft die Weissagungen einer gottgleich verehrten Hohepriesterin geworden, bevor sich der universale Gesamtzusammenhang am Ende als noch etwas komplexer - oder vielleicht auch bloß als ein den Fluss der Generationen, Gefühle und Gedanken übergreifendes Märchen mit einem erst herbeizusehnenden, interplanetarischen Happy End erweist.
Das emotional Bewegendste an diesem vor lauter angestrebter Bedeutungsschwere schreckstarr-toten Film sind jedenfalls die rot-pinken Rastalocken seiner selbst ja nun tatsächlich wie neugeborenen Regisseurin. Jeder Tropfen zählt, um einen Ozean zu bilden und damit den Stand der Dinge zu verändern, heißt es in der - an sich wunderschön revolutionären - Moral des Films. Hier waren es dann doch wohl allzu viele Tropfen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.