Ich hatt' einen Kameraden

Vor 150 Jahren starb der deutsche Dichter Ludwig Uhland

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 7 Min.

Das Heikle zuerst. Das Heikle ist das Heilige: Es steht als irritierender Geist über jedem, der lieber etwas wegscheuchen als herdenken möchte. Der die Welt gern einteilen will ins verlässlich Korrekte und ins feststehend Anrüchige. Die Gesinnung als Trennschere. Ist das Heikle gestempelt: Sofort wird die Welt einfacher - dies aber im Namen einer Vernunft, die nicht weiß, sondern besser weiß, die geistig beschäftigt ist mit Abonnement, die also auf Festposten links oder rechts bewirtschaftet wird, nie in der Mitte, wo alles zur Mehrdeutigkeit verschwimmt. Die Mehrdeutigkeit ist das Heikle, ist der Stoff der Kunst - weswegen streng politisch ausgerichtete Menschen nicht übermäßig zur Kunst neigen, auch wenn sie mitunter darüber reden, freilich so, als sei sie pure Politik. Also: Lehrstoff im Einteilungsunterricht.

Das Heikle bei Ludwig Uhland: etwa das wunderschön traurige Lied »Der gute Kamerad«. Ja, »einen bessern find'st du nit«. 1809 entstanden, als badische Truppen unter Franzosenbefehl Tiroler Aufständische zerschossen. Hitlers Blitzaggressoren haben das Lied gesungen, es malte vielen Kriegerdenkmälern die sphärische Einweihungswolke. Das berühmteste deutsche Soldatenlied. »Die Trommel schlug zum Streite,/ Er ging an meiner Seite«.

Erster Weltkrieg, Spanienkrieg, Zweiter Weltkrieg: Der militärische Mythos sang sich in solidarischer Ummantelung, mit Uhland, hinaus aus dem nackten Grauen der Schlachten. Auch »Hans Beimler, Kamerad« variiert den Dichter. In Frankreich wurde das Lied zu einer Hymne der Kriegsgegner. Carl Zuckmayer betitelte seine Autobiographie mit der letzten Zeile der zweiten Strophe: »Als wär’s ein Stück von mir«. Und bei der Bundeswehr findet kein Begräbnis mit militärischen Ehren statt, ohne dass Uhlands Lied erklänge, von Friedrich Silcher vertont. »Ihn hat es weggerissen,/ Er liegt zu meinen Füßen«. Viel Ähnlichkeit ist da mit dem schalmeienroten »Kleinen Trompeter«

So gehört ein Dichter allen, und oft genug hat jeder dem jeweils anderen ideologischen Missbrauch vorgeworfen. Man tut es hie und da noch heute, weil im praktischen Umgang mit dem Lied Militär vorkommt. Uhlands Verse wurden ein prägnantes Beispiel dafür, wie man etwas, das durch die Geschichte gegangen und dabei natürlich nicht unbeschädigt blieb, irgendwann hauptsächlich gegeißelt wird, weil man Wirkung von Menschen fernhalten will. Die so ein Lied aber gar nicht klassenmäßig definiert haben, sondern es weiter empfinden wollen. Es bleibt ein zu Herzen gehendes Abschieds- und Treuelied.

Aber seltsam: Stets werden in der Bewusstseinsindustrie Empfindungswarnsysteme gebaut, die mit erziehendem Denken auf ein Fühlen einwirken sollen, von dem man befürchtet, es sei falsch. Was durchs hässliche Pathos einer politischen Nutzbarmachung beschmutzt wurde (Faust, Richard Wagner, jeder nackte Olympionike aus gülden flimmernder Bronze, die deutsche Eiche, die schwarzrotgoldene Flagge, die Nationalhymne, Hans Albers und Heinz Rühmann sowieso) - das hat doch aber ein Recht auf Zeiten- und also Gebrauchswechsel, und Menschen haben ein kulturelles Erberecht, das unverstellt auch mit Dingen frei umgehen darf, die den besagten Stempel tragen. »Will mir die Hand noch reichen,/ Derweil ich eben lad./ Kann dir die Hand nicht geben,/ Bleib du im ew'gen Leben/ Mein guter Kamerad.«

Ein Lied reißt man so wenig ab wie Schlösser, Kirchen oder Paläste, der Reichen wie der Republiken. Nicht jeder muss so ein Lied singen, wir sind im freien Heute, aber nicht jeder, der so ein Lied singt, ist noch einer aus dem tyrannischen Gestern. Ludwig Uhland schrieb 1806: »Ein jeder so, wie's ihm beliebt,/ Ein jeder aber so, dass nie ein Feuer stiebt.«

Uhland, 1787 geboren: Zu Gast war er bei einem Wirte wundermild. Er wollte erjagen den weißen Hirsch, stieß an mit dem Glück von Edenhall und wusste: Heut' Nacht wird ein Schlösslein gefährdet sein. Das war der Tag des Herrn, es musste sich alles, alles wenden. Auf der Bidassobrücke brachen alte Wunden auf, viel Steine gab's und wenig Brot, und er sah zur Rechten wie zur Linken einen halben Türken heruntersinken.

Zitate aus Balladen eines Schriftstellers, der »in schweren Disputen mit der Hoffnung« stand, darüber, wie viel davon »meinem Reisegepäck den Trug von Leichtigkeit geben darf«. Vor zu viel Hoffnung muss sich jeder Dichter hüten, sie könnte der Glaubwürdigkeit schaden. Aber dass sich einer vor Hoffnung hüten muss, heißt positiv: Er ist offenbar andauernd in schöner Gefahr, doch auf Veränderungen zu hoffen. Indem einer schreibt, beweist er die Unmöglichkeit von Hoffnung (sonst schriebe er nicht, Schreiben ist Schmerzempfinden); schreibend aber gesteht er Hoffnung ein - offensichtlich ist ein wirklicher Dichter nicht durch und durch klug. Dafür wird er geliebt. Die Klugen dagegen werden geachtet, Achtung kann eine Art Furcht sein.

Uhland wurde von seinem Jahrhundert ins Herz geschlossen. Er wurde geliebt und lebte doch selber in Aufgebrachtheit dahin. Einfache, starke Gefühle - einfache, starke Texte. Überall zu hören, wo ein Chor sich bildete oder eine einzelne Stimme eine Wanderschaft ermunternd begleitete. Was er vorfühlte, wurde zum Vers, in dem jeder etwas für sich nachfühlen konnte. Einer aus Schwaben, dem Land, dessen Dichterschule damals Spottgegenstand war. Uhland ausgenommen. Dieser verhangene, nur schwer bewegliche Schweiger. Der so ganz anders war, als viele Lieder vermuten lassen wollten.

Manches aus diesem Liedgut kommt uns Heutigen vielleicht gartenlaubig vor. Aber im besten Teil des Werks steckt Glanz, steckt Witz, und die formale Souveränität erschuf eine Verknappungskunst, deren große Zeit erst noch kommen und die man Moderne nennen würde.

Uhlands überlegene Wirkung stand im Gegensatz zu seiner Fähigkeit: Er schrieb nämlich nur einige Jahre lang Gedichte, er sah sich den Launen seiner Inspiration schmerzlich ausgesetzt, er vermochte es nicht, ausbleibende Fantasie durch gut gelerntes Handwerk auszugleichen. Und dieser Mann, der das bürgerliche Gefühlsleben für jede Bewusstseinsetage so wundertrefflich lyrisch gestalten konnte, Lieder für das obere Leichte und Lieder für das Leiden ganz unten - er blieb als Person nicht greifbar, ein Fremdfühlender, und gar nicht so sehr ein unbedingter Poet, eher ein leidenschaftlicher Sprachforscher im Provenzalischen und Altdeutschen, vor allem: Sehnsuchtsdemokrat, politischer Kühnkopf, eine parlamentarische Ehrlichkeits- und Ehrenseele. Zunächst als Abgeordneter in Stuttgart, dann im deutschen Nationalparlament.

Nach dem Wiener Kongress, dem Beginn der Restauration und der schlagartigen Beseitigung der Volksrechte verfasste er Flugschriften, schrieb seine »Vaterländischen Gedichte« - der deutsche Vormärz wird deren Muster aufgreifen fürs eigene poetisch-kämpferische Lohen. 1848/49 forderte Uhland in Frankfurts Paulskirche ein parlamentarisch gewähltes Staatsoberhaupt, »wählbar ist jeder Deutsche«, eine scharfe Absage an adlige Vorrechte. Er stritt für den niederen Stand, der sich mit dem Schweiß nicht länger auch die Würde von der Stirn wischen sollte.

Viel über eine politische Gesinnung sagt, wer an einem schweren Anfang dabei ist. Mehr über diese Gesinnung sagt, wer am Ende bleibt: Am 18. Juni 1849 versprengt königliche Reiterei das deutsche Parlament, auf offener Straße: die Zerschlagung der liberalen Demokratie. Ludwig Uhland steht ungebrochen bei den tapferen Untergehern.

Den höchsten Orden seiner Zeit, den »Pour le mérite«, lehnte er ab, mit der Schroffheit eines empfindlich Getroffenen. Als sinne er mit dieser Abweisung selbstzornig darüber nach, wo er denn wohl den fatalen Anlass gab, dass man überhaupt auf die Idee eines solchen Angebotes habe kommen können. Uhland wollte nicht »mit Ehrenzeichen geschmückt« werden, wo andere wegen gleicher Sinnesart »dem Verluste der Heimat, Freiheit und bürgerlichen Ehre, selbst dem Todesurteil« ausgesetzt seien. Alexander von Humboldt, Kanzler des besagten Ordens und damals der wohl welterfahrenste Deutsche, konnte es nicht fassen: »In einem 84-jährigen vielbewegten Leben ist mir so etwas Unerwartetes nie vorgekommen!« Wer Charakter nicht - zu Teilen - als Einsamkeit erlebt, hat keinen. Der Selbstwert ist die Pflanze, die oft nur auf eisigen Schollen wächst. Uhland stand auf Eis, als lebe er an Südseestränden.

Ja, Dichter sind nicht durch und durch klug: In Uhlands Gedichten gibt es Ahnungen von Dunkel und Verwitterung, von Untergang und Zerstörung, die den Eindruck erwecken, sie hätten sich gegen den Willen des Autors in die Verse gedrängt. In Balladen wie »Des Sängers Fluch« oder »Das Glück von Edenhall« wagt sich das Surreale schon mal weit vor seiner eigentlichen Geburt auf die Welt, eine Welt, die ihr künftiges Veröden bereits vorschmeckt - aus aller lyrisch schönen Vollendung blickt eine Bedrohnis, die sich selber nicht zu begreifen scheint. »O brich nicht, Steg, du zitterst sehr!/ O stürz nicht, Fels, du dräuest schwer!/ Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein,/ Eh' ich mag bei der Liebsten sein!«

Dies Gedicht wird geschrieben, und just zwei Tage später erschießen sich Kleist und Henriette Vogel am Wannsee. Das Privileg der Poesie ist ihre instinktive Nähe zum tragisch Unausweichlichen. Uhlands Dichtung war zeitgemäß. Und einer Zeit wahrhaft gemäß ist immer auch das, was sich dieser Zeit - gegenweltwärts - entzieht. In jeder Zeit ist das so.

Heute vor 150 Jahren ist Ludwig Uhland in seiner Geburtsstadt Tübingen gestorben.

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