Kriegsmoral und Partisanenkämpfe
»Im Nebel« von Sergei Loznitsa
Eine Vorlage des weißrussischen Weltkriegsveteranen und später aus Lukaschenkos Weißrussland emigrierten Sowjetdichters Wassil Bykau diente Sergei Loznitsa als Ausgangsbasis für »Im Nebel«, eine elegische Geschichte von Schuld, Unschuld und Tod in weißrussischen Wäldern. Bykau schrieb von dem, was er erlebt hatte, von den Leiden und Opfern der weißrussischen Zivilbevölkerung im Großen Vaterländischen Krieg und von den grundlegenden existenziellen Fragen, die im Minenfeld der Kriegsfronten zwischen den deutschen Besatzern und den einheimischen Kollaborateuren, Partisanen und Zivilisten wie unter einem Brennglas zutage traten.
So erzählt »Im Nebel« von Kollaborateuren, die den Pakt mit dem Teufel eingingen, um ihr Leben zu retten. Und nun mit einem Sadismus gegen ihre Landsleute vorgehen, wie man sie vom einen oder anderen von ihnen auch schon aus Sowjetzeiten kannte, wie es heißt. Von Partisanen, die Kopf und Kragen riskieren mögen, um ihr Land von den Besatzern zu befreien, aber deshalb noch lange nicht frei von eigennützigen Gedanken sein müssen oder allwissend, was die tatsächlichen Loyalitäten ihrer Mitmenschen angeht. Und von Bauern und Arbeitern, die einfach nur überleben wollen und deshalb meist als Erste sterben.
Schon Larissa Schepitko ließ sich von Bykaus Novelle »Die Schlinge« zum grandiosen Pathos ihres »Aufstieg« inspirieren, der Geschichte zweier Rotarmisten und Partisanen, die bei der Lebensmittelbeschaffung für eine vertriebene Dorfgemeinschaft von den Handlangern der Deutschen aufgegriffen werden und sich in der Haft entscheiden müssen, welchen persönlichen Preis ihnen die Unversehrtheit ihrer Mitstreiter wert ist. Schwarz-weiß gedreht, voller Naturmystik und biblischer Anspielungen und auch als Kritik auf die Verhältnisse in der zeitgenössischen Sowjetunion zu lesen, brachte »Aufstieg« Schepitko 1977 den Goldenen Bären der Berlinale ein.
Schepitko wählte die Form klassischer sowjetischer Propagandafilme und drehte sie um. Auch Loznitsa bezieht sich in seiner Bykau-Verfilmung auf eine klassische, in diesem Fall aber ganz zeitlose Form für seine, um ähnliche moralische Grundsatzfragen kreisende Geschichte. Sein stiller Held ist ein besonnener Eisenbahnarbeiter, der seinen Kollegen einen unüberlegten Sabotageakt nicht ausreden kann und am Ende als Verräter von den Partisanen gejagt wird, weil er als Einziger der Inhaftierten nicht von den Deutschen und ihren Hilfstruppen gehängt wurde. Dass er anständig blieb und sich jeder Kollaboration verweigerte - und nun gerade deshalb von den korrupten Kollaborateuren den eigenen Leuten zum Fraß vorgeworfen wird, das ist eine zu komplizierte Wahrheit in Zeiten des Krieges.
In drei Rückblenden und in farbentsättigten, leinwandfüllenden Bildern erzählt »Im Nebel« in parallelen Strängen den Weg in den Tod und die Vorgeschichte der beiden Partisanen und des Bahnarbeiters, den zu exekutieren sie ausgeschickt wurden. Einer ist unschuldig, wird aber zum Lockvogel und Sündenbock gemacht. Einer will das Richtige tun und wird dann doch nur vom Schicksal davor bewahrt, stattdessen einen Unschuldigen zu töten. Und der Dritte hat bereits gezeigt, dass er zu jedem Verrat bereit ist, um das eigene Leben zu retten. Am Ende aber spielt es keine Rolle, wer der Gute war, wer halb gut und wer Übeltäter. Der aufziehende Nebel bedeckt sie alle. Nur die Wehrmachtsangehörigen in ihren von keinen Kriegsunbillen gezeichneten Uniformen und die erklärten Schergen der Deutschen mit ihren weißen Kollaborateurs-Armbinden, die stehen von vornherein außerhalb jeder Moral.
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