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Deftiges Lese-Vergnügen
Gert Billing und zwei Ostberliner Rotzgören
Von einem der Urväter Hollywoods, dem Regisseur und Produzenten Cecil B. DeMille, stammt sinngemäß der dramaturgische Rat, mit einem Erdbeben zu beginnen, anschließend langsam zu steigern. Das Filmgeschäft ist auch dem Autor Gert Billing nicht fremd. Sein Roman »Paradies auf Sand« beginnt mit einer Republikflucht in den 80ern; sie gelingt. Nach dem Mauerfall landet der Flüchtige aber doch im Knast, denn er hat sich im Westen vom MfS anwerben lassen und amerikanische Militärstandorte ausgeforscht. Hat ihn sein Führungsoffizier, der riecht »wie der Kreml bei Nacht«, an die neuen Herren verkauft? Nach seiner Entlassung besorgt er sich ein Gewehr ...
Schon wieder eine Stasi-Geschichte? Zum Glück bloß eine falsche Fährte, als Exposition getarnt. Tatsächlich handelt das Buch von Mieze und Mathilda, zwei Ostberliner Rotzgören, gerade hell genug, um an die Ära nach 89 die entscheidende Frage zu stellen: »Welchen Sinn hat das Leben, wenn wir nicht reich werden?« Billing ist ein Spötter. Er jongliert mit Klischees und schüttet ein wahres Füllhorn parodistischer Einfälle über seinen Leser aus. Noch keine fünfzig Seiten, da sind wir schon beim Ehepaar Honecker in der Ballett-Loge, rächen sich drei Tänzerinnen brutal für ihre Entlassung, hat Klein-Mathilda einen Bankräuber erschossen. Man reibt sich die Augen. Was steht einem wohl noch bevor?
Gert Billing hat früher fürs Fernsehen geschrieben, Serien wie »Die lieben Mitmenschen« oder »Hochhausgeschichten«. Nun legt er uns eine gedruckte Unterhaltung hin, ein deftiges Lese-Vergnügen. Man meint den Heidenspaß zu spüren, den er beim Schreiben gehabt haben dürfte. Mit Spannung weiß er umzugehen, ebenso mit erzählerischen Tonlagen. Das Tempo ist der Galopp, zusätzlich forciert durch Zeitsprünge. Hieß es eben noch von Mieze, »dass die knabenhaft schmale Dreizehnjährige handfest zupacken konnte«, sind die kessen Luder fünf Seiten später schon 20. Was immer sie sagen oder tun, verrät die Liebe ihres Schöpfers. Offenherzig heißt es: »Spätestens ab dem Siebzigsten verfassen Autoren Bücher, in denen betagte Herren jungen Frauen verfallen - oder die ihnen.« So wird ein vermögender alter Choreograph für die Mädchen zum Türöffner in die mondäne Welt, Italien, Villa am Meer. »Die beiden haben das geistige Niveau von Nudelteig«, warnt ihn sein Advokat, doch unbeirrt ändert der kultivierte Greis sein Testament. Das wäre ein Sozial-Märchen a la »Pretty Woman« mit einer klebrigen Haube Pilcher-Schaum, käme nicht immer wieder auch besagtes Gewehr zum Einsatz, angeschafft vom Republik-Flüchtling zur Rache an seinem späteren Führungsoffizier.
Billings grelle Klamotte tanzt auf dünnem Eis. Der Subtext ist Trauer. Für kurze Momente klaffen die Marmorböden auf, stürzt der Blick in den Abgrund. Mieze und Mathilda werden erwachsen. Sie haben viel gelernt. Seit ihrer Kindheit sind die Fronten neu gezogen. Die Welt, in der sie ihr Leben verbringen werden, hält viele Möglichkeiten bereit. Die kleinen Heldinnen sind zu Geschäftsfrauen mutiert, die Unschuld ist verloren. Worauf es jetzt ankommt? Cleverness, Ellbogen und Blendwerk.
Gert Billing: Paradies auf Sand. Roman., NORA Verlag. 330 S., br., 19,90 €
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