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Enttäuschte Hoffnung aufs Paradies

Die Geschichte des Industriellen und Sozialisten Franz Itting

  • Gerd Kaiser
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein sympathischer Mann mittleren Alters blickt einen von der Titelseite des Büchleins an. Drei Wochen vor seinem Tod hatte Franz Itting (1875-1967), Industrieller und Sozialist, notiert: »Ich hatte die Überzeugung, daß sich die Menschheit ein Paradies schaffen könnte.«

Dem ungewöhnlichen Lebensweg und dem Verständnis des in Thüringen einst weithin bekannten »Roten Itting« vom Paradies, für den »Arbeit der schönste Zeitvertreib« war, ging der Autor an Hand vielfältiger familieninterner und offizieller Quellen zur Arbeitswelt und der Wirtschaftspolitik im Grenzgebiet zwischen dem thüringischen Saalfeld und dem oberfränkischen Kronach nach. Aus ärmlichen Familienverhältnissen stammend und arbeitsam, gründete der ideenreiche Franz Itting ein Montagebüro für Elektrotechnik in Saalfeld und schließlich im unweit gelegenen Probstzella ein E-Werk, das auf genossenschaftlicher Basis den Landstrich mit Elektroenergie versorgte. Politisch schloss sich Itting nach dem ersten Weltkrieg der SPD an; er förderte soziale Projekte wie Werkswohnungen und betriebliche Lebensversicherungen für Stammarbeiter sowie mit einem »Haus des Volkes« in Probstzella ein Zentrum gesellschaftlichen Lebens, das architektonisch dem Weimarer Bauhaus nahestand.

Den seit 1930 in Thüringen regierenden Nazis war Itting suspekt. Politisch kriminalisiert und auch mehrfach verhaftet, gelang es ihm jedoch, sich, seine Familie und »sein« Werk geschickt durch die politischen Fährnisse und den Krieg zu lavieren. Ein Mann des entschlossenen und tatkräftigen Widerstandes war er aber nicht. Dass Widerstand aber auch im Machtbereich des in Saalfeld und Umgebung tonangebenden Flick-Unternehmens möglich war, zeigte u. a. der von Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftern gebildete Widerstandskreis um die Kommunisten Kurt Liebmann, dessen Vater Max und Bruder Alfred sowie die Sozialdemokraten Max Pabst, Edmund Tröbs, Paul Glaser. Ihr Widerstand wird vom Ittig-Biograf Roman Grafe leider verschwiegen.

Nach 1945 gehörte Itting zu jenen Sozialdemokraten in seiner Umgebung, die wie Hermann Kreutzer (Saalfeld), Gustav Hartmann (Rudolstadt) und Max Urich (Suhl und Arnstadt) entweder von Anfang an oder auf Grund neuer Erfahrungen gegen die Vereinigung mit den Kommunisten votierten. Wohl aus diesem Grunde, wenn auch offiziell wegen »wirtschaftspolitischer Sabotage«, wurde Itting verfolgt. Grafes Darstellung folgt in groben Zügen dem tatsächlichen Geschehen, lässt jedoch aus, dass es für eine Mehrheit der Sozialdemokraten, unter ihnen die in Thüringen im Widerstand aktiven Antifaschisten Heinrich Hoffmann und August Frölich, gewichtige Gründe für die Vereinigung mit den Kommunisten in einer Einheitspartei gab.

Der »rote Itting« übersiedelte 1950 via Westberlin ins oberfränkische Ludwigstadt und baute im damaligen Zonengrenzgebiet erneut einen Betrieb auf, den er bis an sein Lebensende leitete.

Ittings Hoffnung und die seiner Familie, dass nach der Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates, sein unternehmerisches und soziales Engagement gewürdigt werden, ist mit diesem Buch und einem Dokumentarfilm des MDR immerhin in Erfüllung gegangen.

Roman Grafe: Mehr Licht. Das Lebenswerk des »Roten Itting«. Mitteldeutscher Verlag. 127 S., br., 9,95 €

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