Ganzkörpereinsatz

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Dienst der Kunst hat sie ihren Körper in jeder erdenklichen Art geschunden. Mit Messern, mit Peitschen, mit Feuer und Rauch - und mit stundenlanger Unbeweglichkeit. Zusammen mit ihrem langjährigen Lebens- und Arbeitspartner Ulay ist Marina Abramović nackt gegen Wände gelaufen. Sie hat in Galerien öffentlich gelebt, geduscht und nach eigenen Verhaltensregeln gelitten - und sich die ganze Zeit beoachten lassen. Sie hat die chinesische Westgrenze mit den Füßen erlaufen, immer der Mauer entlang, bis Ulay ihr auf dem umgekehrten Weg entgegen kam, der da gerade ihr Ex-Partner wurde. Sie hat (in Venedig) aus dem Reinigen von Rinderknochen bei gleichzeitigem Absingen traditioneller serbischer Totenlieder Kunst geschöpft und (in New York) ältere Performance-Stücke anderer Künstler zu ihren eigenen gemacht, eine Hommage, die deren Kunstcharakter steigerte.

Es ist bald vierzig Jahre her, dass Abramović die vorhersehbar mit jeder verstreichenden Minute anwachsende Gewaltbereitschaft ihres Galerie-Publikums testete, indem sie sich passiv ganz in seine Hände gab (und es noch dazu mit Waffen ausrüstete), sechs Stunden lang, in einer legendären Performance mit dem Titel »Rhythm 0«. Und damit endgültig den Beweis lieferte, dass nicht der Performance-Künstler der perverse Sadist ist, sondern die menschliche Natur Sadismus schlicht beinhaltet.

Die Pionierin noch immer auf einem Feldzug: Nicht nur Kunstwelt und Kritiker, sondern auch die breite Öffentlichkeit soll endlich anerkennen, dass Performance-Kunst eben das sein kann: Kunst. Um diese Erkenntnis zu befördern, hat Abramović ihrem Publikum mit unbewegtem Gesicht persönlich in die Augen geblickt. Dreieinhalb Monate lang, sechs Tage die Woche, sieben Stunden am Tag, mit dem täglich anwachsenden Strichkalender des Inhaftierten an der Wand - und natürlich öffentlich. Wer von Mitte März bis Ende Mai 2010 eine Eintrittskarte für das New Yorker Museum of Modern Art erwarb und bereit war, sich in die langen Schlangen vor Abramovićs Sitzplatz einzureihen, durfte ihr gegenüber Platz nehmen. Und wurde von ihr angesehen.

Der enorme emotionale Effekt, den dieses Sehen und Gesehenwerden auf viele Besucher hatte, ist das zentrale Argument von Matthew Akers’ Film über die Künstlerin. »Marina Abramović - The Artist is Present« lehnt sich nicht nur im Titel an den Titel der MoMA-Schau an (»Die Künstlerin ist anwesend«), sondern führt den Zuschauer auch konsequent auf ein zumindest vikarisches Mit-Erleben unmittelbarer Präsenz hin. Ein schwieriges Unterfangen, denn im Film ist per Definition nur noch Abbild, was im MoMA unmittelbar zu erleben war. Die Tränen, die Aufgeregtheit der wartenden Menge angesichts des in völliger Konzentration fast bis zur Ausdruckslosigkeit erstarrten Gesichts der Künstlerin, das Übernachten der Fans vor dem Museum, als die Ausstellung sich ihrem Ende zuneigte und die Zeit mit der Künstlerin knapp wurde, es könnte einfach bloß hysterisch wirken. Und entfaltet doch Wirkung.

Denn auch wenn die Regie gelegentlich in unkritisch-hagiografische Anbetung abgleitet (und MoMA-Kurator Klaus Biesenbach vielleicht allzu reichlich Gelegenheit bietet, sich und seine Ausstellung zu bewerben), Abramović fängt diese Schwächen jederzeit auf. Was einen absoluten Mehrwert hat, der den Film überdauert: ihre Leidensbereitschaft, ihre Selbstdisziplin, die Askese ihrer künstlerischen Selbstverleugnung im Dienst des Erkenntnisgewinns über die bis zu einem gewissen Grad dehnbaren Grenzen des eigenen Körpers und Geistes. Und damit über Körper und Geist von uns allen.

Auch ihre Offenheit schließt das ein - über persönliche Wunden und Opfer (die Trennung von Ulay, die Härte ihrer Partisanen-Mutter), selbst die jeder Mythisierung entgegenstehenden logistischen Details der Vorbereitung auf das Martyrium eines tagelangen unbewegten Ausharrens vor der fotografierenden Menge (das lange Gewand, das den Klostuhl verdeckte).

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