Zwischen Wirtschaftskompetenz und Kanzlerkandidatur
Die wohlgesetzten Worte vermitteln auf den ersten Blick lauter positive, zustimmungswürdige Werte. Doch schon auf den zweiten fragt man sich, ob benachteiligte Teile der Gesellschaft nicht mehr als nur Gleichheit der Chancen benötigen, um zu ihrem Recht zu kommen. Und die praktische Politik der Partei zeigt nach nd-Recherchen, was wirklich gemeint ist, zeigt die Folgen, zu denen CDU-Leitbilder führen. Chancengleichheit bleibt dabei schnell auf der Strecke.
Soziales
»Die Systeme der sozialen Sicherung sind maßgeblich von der CDU gestaltet. Bei der Weiterentwicklung der Systeme orientiert sich die CDU an den Prinzipien der Eigenverantwortung, der Generationengerechtigkeit und der Leistungsgerechtigkeit.«
In wenigen Wochen soll das Pflegeneuausrichtungsgesetz in Kraft treten, mit dem die Weichen auf eine weitere Privatisierung gestellt werden. Eine private Pflegezusatzversicherung, die mit Steuergeldern subventioniert wird, lohnt sich aber nur für diejenigen, die auch viel einzahlen können.
Der Beitragssatz zur Rentenversicherung sinkt im nächsten Jahr von 19,6 auf 18,9 Prozent. Kritiker befürchten Defizite in der Rentenkasse. Um die umstrittene Privatvorsorge am Leben zu erhalten, will die CDU allen, die 40 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt und privat vorgesorgt haben, eine Rentenaufstockung knapp oberhalb der Grundsicherung gewähren.
Unter Schwarz-Gelb wurden innerhalb eines Jahres so viele Sanktionen gegen Hartz-IV-Betroffene verhängt wie niemals zuvor. Die CDU belässt es aber nicht bei den Strafen. Durch Streichungen bei der Arbeitsmarktförderung erschwert sie zusätzlich die Situation der Erwerbslosen.
Bildung
»Bildung ist Schlüssel für die Lebenschancen jedes einzelnen. Durch ein freies, gerechtes und leistungsfähiges Bildungssystem werden wir Werte schaffen, die Wohlstand sichern.«
Der Kita-Bereich wurde ausgebaut, die Qualität der frühkindlichen Bildung ist allerdings nach wie vor mittelmäßig. Die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebene NUBBEK-Studie (»Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit«) kam zu dem Schluss, dass der Bildungs- und Entwicklungsstand der Kinder weiterhin vom familiären Hintergrund abhängt.
Elf Jahre nach der Veröffentlichung der ersten PISA-Studie ist das deutsche Schulsystem eine permanente Baustelle. In vielen CDU-regierten Bundesländern wurde die Hauptschule zwar abgeschafft und das Bildungssystem durchlässiger, Schwachpunkt bleibt aber die frühe Selektion.
Abgerückt sind die meisten CDU-Politiker von Studiengebühren. Außer in Bayern und Niedersachsen wurde in allen Bundesländern mittlerweile das erst vor wenigen Jahren eingeführte Bezahlstudium abgeschafft.
Bundeswehr
»Der Bundeswehr kommt heute ein erweitertes Aufgabenspektrum zu: Landes- und Bündnisverteidigung, Krisenreaktion und Stabilitätstransfer sowie die zivilmilitärische Zusammenarbeit im Inneren bilden die Kernelemente des Aufgabenspektrums der Bundeswehr heute. Deshalb muss die Transformation der Streitkräfte konsequent weiter umgesetzt und eine bedarfsgerechte Finanzierung sichergestellt werden.«
Die CDU lässt sich die Bundeswehr auch nach der Abschaffung der Wehrpflicht einiges kosten. Mit rund 33,3 Milliarden Euro erhält das Verteidigungsministerium den zweitgrößten Einzelposten von allen Ministerien.
An dem NATO-Krieg in Libyen wollte sich die Bundesregierung personell nicht beteiligen und enthielt sich im UN-Sicherheitsrat. Im syrischen Bürgerkrieg setzt Deutschland hingegen auf Eskalation, wenn demnächst in dem NATO-Staat Türkei Patriot-Raketen stationiert werden sollten.
Auch im Inland darf die Bundeswehr unter strengen Auflagen gegen »Terroristen« vorgehen. CDU und CSU zeigten sich im Sommer erfreut über das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Familie
»Fundament der Gesellschaft sind Ehe und Familie, die wir stärken wollen. Familienbeziehungen dauern ein Leben lang. Und zu einem glücklichen Leben gehören für die große Mehrheit junger Frauen und Männer Familie und Kinder. Die CDU will die Voraussetzungen schaffen, dass viele Familien- und Kinderwünsche in Erfüllung gehen.«
Ab August 2013 erhalten Eltern zunächst 100 Euro monatlich, wenn sie ihre Kinder zu Hause betreuen. Das somit ausgezahlte Betreuungsgeld wird beim stockenden Kita-Ausbau fehlen. Kinder haben von August 2013 an ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz.
Eine andere skurrile Idee hat hingegen aufgrund fehlender Unterstützung in den eigenen Reihen kaum Chancen, umgesetzt zu werden. CDU-Familienpolitiker wollten Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. Deshalb hatten sie einen Putzhilfe-Zuschuss gefordert.
Ebenfalls als wenig aussichtsreich gilt der Vorstoß von 13 CDU-Bundestagsabgeordneten zur steuerlichen Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe beim anstehenden Bundesparteitag.
Integration
»Integration bedeutet die Akzeptanz kultureller Verschiedenheit auf der Basis allgemein geteilter und gelebter Grundwerte.«
Beim CDU-Parteitag 2010 bekannte sich die Führung zur »christlich-jüdischen Leitkultur«. Migranten sollten diese »respektieren«. Integrationspolitik richten die Konservativen an deutschen Interessen aus und bestrafen »Integrationsverweigerer«.
Das CDU-geführte Arbeitsministerium hat kürzlich auf Druck des Bundesverfassungsgerichts einen Entwurf für ein neues Asylbewerberleistungsgesetz vorgelegt. Flüchtlinge sollen mehr Geld erhalten, aber ihre Leistungen etwa zehn Prozent unter denen der Hartz-IV-Betroffenen liegen. Nach Möglichkeit sollen Sachleistungen bereitgestellt werden. Asylbewerber aus Staaten, die nicht für politische Verfolgungen bekannt sind, sollen noch weniger Geld erhalten.
Bei einem Besuch der Integrationsbeauftragten, Maria Böhmer (CDU), bei den hungerstreikenden Asylbewerbern am Brandenburger Tor unterstützte sie deren Forderungen wenigstens in einer Hinsicht; es solle eine schnellere Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge geben - schon nach sechs Monaten. Über deren andere Forderungen schwieg sie sich aus.
Entwicklung
»Unsere Entwicklungszusammenarbeit beruht auf unserer Verantwortung für Arme und die Schöpfung, auf der Abwehr von Gefahren und der Stärkung unserer politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Partnerschaften.«
Der Entwicklungshaushalt wurde um fast 87 Millionen Euro gekürzt. Damit ist das von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) offiziell angegebene Ziel, bis zum Jahr 2015 den Anteil öffentlicher Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, kaum noch zu erreichen.
In der Debatte über die Kürzungen überwog in der Koalition nicht etwa die Sorge um die Folgen für die betroffenen Menschen, sondern die Furcht vor einem möglichen Ansehensverlust der Kanzlerin. »Die aktuelle Entscheidung wirft einen unnötigen Schatten auf die gute entwicklungspolitische Bilanz«, sagte Dagmar Wöhrl (CSU).
Niebel wollte einst das Ministerium abschaffen. Gegen die Etatkürzungen stemmte er sich halbherzig. Das Parlament habe sich von internationalen Verpflichtungen Deutschlands abgewandt, konstatierte der FDP-Mann.
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