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Einsam unter Einsamen
Arezu Weitholz: »Wenn die Nacht am stillsten ist« führt in eine saturierte Pseudowelt
Anna aus dem feinen Hamburg-Winterhude liebt den latent exzentrischen Ludwig. Und vielleicht auch ihren besten Freund Hannes, der eher bodenständig in Berlin lebt. Anne liebt auch Dante, ihren Goldfisch, der allerdings irgendwann stirbt. Ihre Mutter liebt sie auch. Von Zeit zu Zeit besucht sie sie im Pflegeheim, irgendwo am Rande der Stadt. Annas Mutter hat sich nach dem Selbstmord ihres Mannes nie wieder erholt. Und nun sitzt Anna an Ludwigs Bett, Denn auch Ludwig wollte (oder will?) sich umbringen. Er nahm Schlaftabletten. Anna weiß nicht, ob sie den Notarzt rufen soll. Es passt in ihr Leben, es nicht zu tun. Ihr Vater hatte seinen Suizid auch angekündigt. Und sie hat ihn gewähren lassen. Kein schlechtes Gewissen deshalb.
Anna ist eine Monade. In einer Welt von Monaden. Nach mehreren Jahren in Südafrika arbeitet sie jetzt für ein Lifestyle-Magazin, dessen journalistische Stars Ludwig und Julius mit gefakten Reportagen Medienpreise gewinnen. In dieser Welt lebt man nebeneinander her. Wenn man überhaupt lebt. Insofern ist es tatsächlich egal, ob man einen der anderen offenbar gefühllosen Roboter in Menschenhülle am selbst gewählten Sterben hindert oder nicht.
Arezu Weitholz (Jahrgang 1968) ist Journalistin und schreibt Texte für »Die Toten Hosen«, Herbert Grönemeyer und andere Musiker. »Wenn die Nacht am stillsten ist« - ein Titel, der wahrscheinlich nicht zufällig an den schönen »Ton Steine Scherben«-Song »Wenn die Nacht am tiefsten ist« erinnert - ist nach zwei Lyrikbänden ihr erster Roman.
Teil eins des bequem an einem Abend zu lesenden Büchleins ist Annas innerer Monolog an Ludwigs Bett, immer wieder unterbrochen von der aufflackernden Überlegung, ob sie Hilfe rufen soll. Aber scheinbar ist es ihr gleichgültig, ob Ludwig lebt oder stirbt. Er hatte ohnehin gerade mit ihr Schluss gemacht. Teil zwei ist ein Rückblick auf die achtmonatige Beziehung zu Ludwig, dem selbstverliebten Schnösel, der vielleicht depressiv ist, vielleicht auch einfach genial. Musik spiele eine wichtige Rolle in diesem Buch, schreibt der Verlag in der Werbung, und fragt, ob dies »der letzte Pop-Roman« sei. Ich persönlich hoffe, dass das nicht der Fall ist. Dazu ist er nämlich sowohl mit Blick auf die Geschichte, als auch mit Blick auf emotionalen Tiefgang etwas dünn. Ganz nett in weiten Teilen, gewiss, aber ein Roman lebt von Verwicklungen, Emotionen, Reflexionen, dramatischen Höhen und Tiefpunkten. Weitholzes Heldin dagegen ist Meisterin der Äquidistanz und eine irgendwie gesichtslose Schablone. Pop wiederum wäre Farbe, die in dieser saturierten Pseudowelt völlig fehlt - von Dante, dem Goldfisch, abgesehen. Nein, lasst dies nicht den letzten Pop-Roman sein!
Arezu Weitholz: Wenn die Nacht am stillsten ist. Roman. Kunstmann. 223 S., geb., 17,95 €.
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