Die Kreativen vor der Willkür der Verwerter schützen
Von den Gewinnen, die mit ihren Inhalten erwirtschaftet werden, kommt bei den Urhebern wenig an
Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst der Online-Piraterie. Wenn hierzulande über das Urheberrecht gesprochen wird, erscheint das illegale Tauschen von urheberrechtlich geschützten Inhalten im Internet stets als das Hauptproblem. Wovon sollen Urheberinnen und Urheber leben, wenn Nutzerinnen und Nutzer deren Werke herunterladen, ohne dafür zu bezahlen? Es scheint, als wäre mit dem digitalen Wandel ein Konflikt zwischen Urhebern und Nutzern ausgebrochen. Auf der einen Seite die Kreativschaffenden, die den legitimen Anspruch erheben, für ihre Arbeit bezahlt zu werden. Auf der anderen Seite ein rücksichtsloser Pöbel, der den Wert dieser Arbeit nicht mehr anerkennt.
Die Lobbyisten der Medienindustrie haben gute Arbeit geleistet. Sie haben dafür gesorgt, dass es so aussieht, als wäre das Problem mit dem Urheberrecht ein Problem der Rechtsdurchsetzung. Als könnte das Recht bleiben, wie es ist, und müsste nur gegenüber denen, die es missachten, mit harter Hand durchgesetzt werden. Natürlich im Namen der Urheberinnen und Urheber, zu ihrem Wohl, zu ihrem Schutz.
Dass das Urheberrecht die Lebensgrundlage der Kreativschaffenden darstellt, ist seine wesentliche Legitimationserzählung seit der Aufklärung. Im Mittelpunkt steht dabei der Schutz des »geistigen Eigentums«. Das Urheberrecht erfüllt die Funktion, geistige Schöpfungen in Waren zu verwandeln, die auf einem Markt gehandelt werden können. So wie die Bürgerinnen und Bürger über ihr Privateigentum, sollen auch die Urheberinnen und Urheber über die Produkte ihrer geistigen Arbeit frei verfügen können. Indem sie Rechte an ihren Werken veräußern, können sie sich ein Einkommen daraus sichern. Auf diese Weise bleiben sie unabhängig von Gönnern und Mäzenen.
Die Theorie steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Tatsache, dass die meisten Kreativschaffenden durchaus nicht von ihrer Arbeit leben können, Urheberrecht hin oder her. Die Zahlen der Künstlersozialkasse, die regelmäßig Erhebungen zum Einkommen von Künstlern und Publizisten durchführt, belegen dies. Im Durchschnitt verdienen Kreative in Deutschland etwa 1200 Euro im Monat. Die Zahl ist seit Jahren mehr oder weniger konstant.
Woran liegt es, dass das Urheberrecht offenbar nicht in der Lage ist, den Lebensunterhalt der Kreativschaffenden zu sichern? Ist daran tatsächlich die Online-Piraterie schuld? Liegt es an der »Gratismentalität« der Nutzerinnen und Nutzer?
Es gibt keine verlässlichen Erhebungen darüber, wie hoch die Verluste sind, die der Medienindustrie tatsächlich durch Online-Piraterie entstehen. Es gibt aber die unbestreitbare Tendenz, dass immer weniger Medieninhalte illegal kopiert werden. Mehr noch, es gibt auch Studien, die nahelegen, dass diejenigen, die sich Medieninhalte über Online-Tauschbörsen besorgen, trotzdem besonders viel Geld für den legalen Erwerb solcher Inhalte ausgeben.
Und es zeigt sich, dass überall da, wo einfache und bequeme Bezahlmethoden online angeboten werden, die Nutzerinnen und Nutzer diese in Scharen annehmen - zumindest, wenn es um die Bezahlung einzelner Songs, Filme, Bücher oder Artikel geht. Abonnementsmodelle funktionieren derzeit, wenn überhaupt, im Musikbereich. Dazu später mehr. Die Bezahlfreudigkeit bei bequemen Abrechnungsmethoden gilt übrigens für legale wie illegale Angebote, wie beispielsweise mittlerweile verbotene Portale wie »Megaupload« bewiesen haben. Es liegt also an der Kreativbranche, die legalen Angebote attraktiv auszubauen.
Vor allem aber strafen die Umsatzzahlen der unterschiedlichen Branchen diejenigen Lügen, die andauernd eine Kostenloskultur der Nutzerinnen und Nutzer heraufbeschwören. Schaut man sich diese Zahlen an, so zeigt sich, dass diejenigen, die am lautesten klagen, am wenigsten Grund dazu haben: Die Musikindustrie verzeichnet gerade im Digitalgeschäft seit Jahren zweistellige Zuwächse. Auch insgesamt boomt die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft. Einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie zufolge machte sie im Jahr 2010 einen Umsatz von 137 Milliarden Euro.
Vergleicht man die Zahlen der Künstlersozialkasse mit den Umsatzzahlen der Branche, kommt man zu dem Schluss, dass die Einkommen der Kreativschaffenden nicht einmal zwei Prozent dieser Umsätze ausmachen. Man mag darüber diskutieren, wie repräsentativ die Zahlen der Künstlersozialkasse tatsächlich sind und welche Gruppen von Kreativschaffenden dabei nicht erfasst sind. Unübersehbar bleibt aber, dass von den Gewinnen, die mit der Verwertung künstlerischer und publizistischer Arbeit erzielt werden, bei den Kreativschaffenden selbst wenig ankommt.
Dies hat einen einfachen Grund. Zwar wird immer viel vom sogenannten »geistigen Eigentum« der Kreativen geredet. In der täglichen Praxis jedoch ist das oft nicht mehr als die leere Hülle. Denn die Verwertungsrechte an einer geistigen Schöpfung sind durchaus übertragbar. Das Recht, ein Manuskript als Buch zu drucken oder ein Musikstück auf CD aufzunehmen, kann der Urheber also verkaufen. Und er bekommt für solche Rechte so viel oder so wenig Geld, wie die jeweiligen Verwerter ihm zu zahlen bereit sind.
Wie viel Urheberinnen und Urheber verdienen, hängt also nicht in erster Linie davon ab, was in den vielen Paragrafen des Urheberrechts geschrieben steht, sondern was im Kleingedruckten der Verträge steht, die sie mit ihren Vermarktern aushandeln.
Offensichtlich werden Urheberinnen und Urheber an den Erlösen aus dem Verkauf ihrer Werke nicht ausreichend beteiligt. Das Urheberrecht, das angeblich ihre Lebensgrundlage sichern soll, ändert daran nichts.
Die Kreativschaffenden befinden sich in einer paradoxen Situation. Die Freiheit, auf einem Markt zu agieren, Rechte an den eigenen Werken zu verkaufen und sich dafür eine Gegenleistung in Form von Honoraren auszubedingen, markiert historisch den Ausgang der Kunst aus ihrer feudalistischen Unmündigkeit. Zugleich bedeutet eben diese Freiheit, dass sie auf dem Markt dem freien Spiel der Kräfte ausgesetzt sind. Wenn starke Schutzrechte irgendwo Sinn ergeben, dann hier. Um die Schwächeren vor der Willkür der Stärkeren zu schützen. Doch genau hier versagt der urheberrechtliche Schutz.
Der Zusammenhang zwischen dem Einkommen Kreativschaffender und dem Vertragsrecht ist eigentlich offensichtlich. Aber in der öffentlichen Diskussion um das Urheberrecht spielt er so gut wie keine Rolle, sondern tritt zugunsten einer hysterischen und überzeichneten Diskussion über Online-Piraterie in den Hintergrund. Das hat System, denn dahinter stehen knallharte Interessen. Die Medienindustrie versucht systematisch, einen Kulturkampf zwischen Urhebern und Nutzern herbeizureden, wo in Wirklichkeit ein Interessenkonflikt zwischen Urhebern und Verwertern künstlerischer Leistungen besteht. Seit Jahren binden sich Verlage, Musikindustrie und Filmwirtschaft die Urheberinnen und Urheber vor den Bauch, wenn sie ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen durchsetzen wollen. Während sie zugleich die Kreativen mit Hungerlöhnen abspeisen. Das hat nebenbei bemerkt durchaus Tradition: Die Argumente gegen böse Konsumenten in der aktuellen Debatte wurden alle auch schon beim Aufkommen von Kopiergeräten und Kassetten in Stellung gebracht.
Die LINKE hat deshalb eine grundlegende Reform des Urhebervertragsrechts vorgeschlagen. Sie hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der darauf abzielt, Kreativen bei ihren Verhandlungen mit mächtigen Medienkonzernen den Rücken zu stärken. Er soll sicherstellen, dass sie viel mehr als bisher selbst über die Rechte an ihren Werken verfügen können. Und dass sie ihren Anspruch auf eine angemessene Vergütung gegenüber ihren Vertragspartnern auch tatsächlich durchsetzen können.
Ein starkes Urhebervertragsrecht wird immer wichtiger, und zwar gerade dort, wo sich neue Geschäftsmodelle etablieren, wo also die Karten erst neu gemischt werden. Ein viel zitiertes Beispiel für solch ein neues Geschäftsmodell ist der Musikstreamingdienst »Spotify«. »Spotify« ist anfangs enthusiastisch gefeiert worden, als Beweis dafür, dass neue Verwertungsformen für urheberrechtlich geschützte Inhalte funktionieren können. Dann aber wurde Kritik laut, weil der Dienst für Künstler lediglich Einnahmen im Mikrocentbereich abwirft: Musikerinnen und Musiker berichten, dass sie zum Teil nur 0,0023 Euro pro abgerufenem Musikstück erhalten. Und bekanntlich haben die großen Plattenfirmen die Werke ihrer Musikerinnen und Musiker für den Dienst erst freigegeben, als sie selbst als Miteigentümer an »Spotify« beteiligt wurden. Da liegt die Vermutung nahe, dass in diesem Konstrukt eine Menge Geld an den Urheberinnen und Urhebern vorbei verdient wird.
Zweierlei kann man daraus lernen. Erstens können neue Geschäftsmodelle im Netz durchaus erfolgreich sein. Zweitens haben Urheberinnen und Urheber davon wenig, solange sie nicht unabdingbare Vergütungsansprüche gegenüber jenen geltend machen können, die mit den Rechten an ihren Werken Geld verdienen.
Es wäre für die derzeitige Urheberrechtsdiskussion zweifellos ein Gewinn, wenn man Rechtsdurchsetzung auch einmal in diesem Sinne verstehen würde. Also nicht: Neue Verbotsrechte und Strafen gegenüber Nutzerinnen und Nutzern, die mit Netzsperren, Warnhinweisen und Abmahnungen zu mehr Respekt vor dem »geistigen Eigentum« gezwungen werden sollen. Sondern: Eine funktionierende Durchsetzung der Rechte Kreativschaffender in ihren Vertragsverhältnissen. Wenn also aus der Debatte über illegale Distributionsformen eine Diskussion über die Bedingungen der Produktion kreativer Werke entstehen würde, dann wäre das eine Urheberrechtsdiskussion, die, anders als die Gespenster-Debatte über Online-Piraterie, ihren Namen auch verdient.
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